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Totgeschwiegen

Totgeschwiegen

Titel: Totgeschwiegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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hindurchgeschoben worden war.
    Sofort drehte sie sich um und schaute nach, ob jemand sich im Gebüsch versteckt hatte, auf der Straße lauerte oder irgendwo im Schatten der Garage oder dem Ende der Veranda. Vielleicht war der Absender der Nachricht ja noch in der Nähe. Nach allem, was passiert war, erwartete sie jeden Moment das Schlimmste. In den vergangenen Stunden hatte sie sich wie eine Gefangene ihres Schicksals gefühlt, wie jemand, der an Eisenbahngleise gekettet war und schon das Signal des herannahenden Zuges hörte … die Schranke am Bahnübergang senkte sich … die Lokomotive rollte immer näher … Was jetzt passierte, war unvermeidlich. Sie wusste nur nicht, wann es so weit war.
    Aber niemand war in der Nähe des Hauses zu sehen.
    Sie hob den gefalteten Zettel auf, trat ein, schloss die Tür hinter sich ab und setzte sich ins dunkle Wohnzimmer, wo die Uhr leise vor sich hin tickte. Sie war sich nicht sicher, ob sie diese Mitteilung überhaupt lesen wollte. Aber wenn sie das Signal des Zuges überhörte, würde er trotzdem heranrollen …
    Seufzend stand sie auf und durchquerte das Zimmer, um das Licht einzuschalten. Dann faltete sie den Zettel auseinander.
    Wo bist du, schöne Frau? Ich glaube, wir haben uns gestern Abend auf dem falschen Fuß erwischt. Ich bin gar kein so übler Bursche, und wenn du es auch bist, bin ich bereit, zu vergeben und zu vergessen. Die Schulzeit ist lange vorbei. Lass uns noch mal von vorn anfangen. Ruf mich an.
    Darunter standen Joes Name und seine Telefonnummer.
    Grace verzog das Gesicht, als sie seine schlampige Handschrift ansah. Er hatte es einfach nicht kapiert. Er dachte wohl, mit ein bisschen Druck würde er schon bekommen, was er wollte.
    Kopfschüttelnd ging sie durchs Zimmer und zündete die Kerzen an. Eine kleine Kerze in der einen, den Zettel in der anderen ging sie zum Ausguss und steckte das Papier in Brand.
    So viel zu Joe. Er würde ganz sicher
nie
von ihr hören.
    Nachdem sie die Asche weggespült hatte, rief sie George an. Sie wollte sich daran erinnern, dass sie auch noch ein anderes Leben hatte, jenseits von Stillwater, und dass es noch schönere Aussichten in ihrem Leben gab – eine gemeinsame Zukunft mit ihm, eine Familie.
    Aber George meldete sich nicht.
    Sie sah auf die Uhr. Es war schon fast fünf Uhr morgens. Wahrscheinlich schlief er. Das hatte sie auch erwartet, aber sie sehnte sich nach dem Klang seiner Stimme. Bisher hatte er immer abgenommen, wenn sie ihn angerufen hatte, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit.
    Sie versuchte es noch einmal. “Hallo, hier spricht George E. Dunagan. Leider kann ich im Moment nicht ans Telefon kommen …”
    Sie legte auf und trat vor die Tür, die auf die hintere Veranda hinausführte. Die Bäume wiegten sich im Wind. Grace fühlte sich sehr allein in diesem fremden Haus. Wahrscheinlich schlief George in dieser Nacht einfach nur fester als sonst, weil er einen anstrengenden Tag hinter sich hatte. Bestimmt verausgabte er sich mit diesem Einbruchsfall mit Vergewaltigung, von der er gesprochen hatte, als er vor einer Woche ihre Möbel gebracht hatte. Sie wusste ja, wie anstrengend die Arbeit eines Anwalts war. Und der ständige Zwang, Tatsachen anders zu interpretieren, zu verschleiern oder zu verstecken, konnte wirklich sehr ermüdend sein.
    Jetzt tat sie ihm Unrecht, stellte sie fest. Aber sie wusste ja, mit welchen Tricks die Verteidiger vor Gericht arbeiteten, und George machte da keine Ausnahme. Wie auch immer, sie würde ihn einfach morgen früh anrufen, ganz sicher würde er dann in seinem Büro zu erreichen sein. Sie ging nach oben.
    Der Regen hatte aufgehört. Sie war froh über das Unwetter, denn es hatte bewirkt, dass es nicht mehr so heiß und trocken war. Das Heulen des Windes aber mochte sie nicht. Dieser Klang erinnerte sie immer an jene Zeit, als sie zitternd unter ihrer Bettdecke gelegen hatte, sich kaum traute zu atmen und viel zu verängstigt war, um sich zu bewegen. Es war genau so eine stürmische Nacht, als sie zum ersten Mal das leise Knirschen im Flur gehört hatte, kurz bevor der dunkle Schatten ihres Stiefvaters in der Tür zu ihrem Schlafzimmer erschienen war …
    “Er ist tot. Tot und begraben”, flüsterte sie vor sich hin. Sie hatte mitgeholfen. Sie hatten alle geholfen. Aber wenn sie die Augen schloss, sah sie trotzdem, wie er durch ihr Fenster starrte.
    Er war zurück. Und er versuchte hereinzukommen.

8. KAPITEL
    A m nächsten Morgen saß Kennedy am Küchentisch und schaute

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