Totgeschwiegen
wünschte, niemand würde von diesem Campingausflug Notiz nehmen. Sie weigerte sich, Kennedy zu benutzen, um ihre Glaubwürdigkeit oder ihren sozialen Status aufzupolieren.
“Na so was. Kennedy Archer. Wie schön, Sie zu sehen!”, sagte Irene und ließ jede Menge Südstaatencharme in ihre Stimme fließen, während sie ausstieg und auf ihn zuschritt.
Kennedy gab sein Politikerlächeln zum Besten – Grace kannte inzwischen den Unterschied zwischen seiner professionellen Freundlichkeit und echter persönlicher Anteilnahme – und streckte ihr seine Hand entgegen. “Hallo, Mrs. Barker! Wie geht es Ihnen?”
“Danke, aber nennen Sie mich doch Irene.” Sie ließ ihre Augenlider flattern. “Wir kennen uns doch schon so lange.”
“Das stimmt natürlich.”
“Wie kommt Ihre Kampagne voran?”
“Nicht so gut.” Er blickte demonstrativ zu dem Plakat in Grace’ Vorgarten. “Wie es scheint, leisten manche erbitterten Widerstand.”
Irene errötete. “Ich werde meinen Einfluss geltend machen. Aber Sie wissen ja, dass meine andere Tochter Madeline Sie mit Ihrer Zeitung unterstützt.”
“Dafür bin ich ihr auch sehr dankbar.”
Irene genoss noch einen Augenblick lang seine Aufmerksamkeit, dann wandte sie sich ihrer Tochter zu, und ihre Augen weiteten sich: “Oh weh! Ist das da Ruß auf deiner Wange?”
“Ich muss unbedingt unter die Dusche”, sagte Grace und rieb sich über die fragliche Stelle.
Kennedy schaute auf seine Jeans. “Wir sind wohl alle ein bisschen schmutzig geworden.”
Irene legte eine mit zahlreichen Ringen geschmückte Hand auf ihr Herz. “Aber … ihr beiden habt doch nicht etwas die Nacht
gemeinsam
im Wald verbracht?”
Grace biss die Zähne zusammen, als Kennedy antwortete.
“Wir waren zwei Nächte da draußen. Selbstverständlich in zwei verschiedenen Zelten.”
“Das ist aber nett”, sagte Irene und warf Grace einen vielsagenden Blick zu. “Grace hat mir gar nicht erzählt, dass sie am Wochenende etwas vorhatte.”
“Es war auch eher eine spontane Entscheidung”, murmelte sie.
“Die dich davon abgehalten hat, nach Jackson zu fahren. Ich verstehe.”
Kennedy sah Grace an. “Ich hoffe, du bekommst jetzt keine … Probleme deswegen.”
So wie er das Wort “Probleme” aussprach, war klar, dass er George damit meinte. “Nein”, sagte sie. “Es wäre sowieso so gekommen.”
Bevor Irene fragen konnte, worüber sie da eigentlich sprachen, schaltete sich Teddy ein. “Mrs. Barker, Mrs. Barker, wissen Sie was?”
Irene gelang es, dem Jungen ein freundliches Lächeln zu schenken, auch wenn sie eigentlich viel mehr an Kennedy interessiert war. “Was denn, mein Junge?”
“Ich kann fast genauso lange unter Wasser die Luft anhalten wie Grace.”
“Das ist ja toll. Da habt ihr wohl eine Menge Spaß gehabt.”
“Es war super!” Er legte sein Kinn auf die Hände, mit denen er sich am Autofenster festhielt. Dann reckte er sich erneut. “He, Dad! Kann Grace wieder mitkommen, wenn wir nächste Woche zum Feuerwerk fahren?”
Kennedy räusperte sich. “Das werden wir sehen, Teddy.”
Grace schüttelte den Kopf. Sie wollte in Zukunft darauf achten, eine gesunde Distanz zu Kennedy aufrechtzuerhalten. “Tut mir leid, Teddy, aber ich habe schon was anderes vor.”
“Was denn?”, fragte Irene mit schneidender Stimme. Für sie konnte es eindeutig nichts Wichtigeres geben als eine Verabredung mit Kennedy Archer.
Grace suchte verzweifelt nach einem Grund. Am vierten Juli, dem Nationalfeiertag, gab es in der Stadt nicht gerade viel zu tun. Fast alle gingen zum Stadion und breiteten ihre Picknickdecken auf dem Rasen aus, um dem Feuerwerk zuzuschauen. “Ich … ich bin mit Madeline verabredet”, sagte sie lahm.
“Ich bin sicher, Maddy hätte nichts dagegen, wenn sie sich mit dir einen Tag früher oder später trifft”, stellte Irene fest.
Grace warf Kennedy einen Hilfe suchenden Blick zu. Aber der schlug sich jetzt auf Irenes Seite. “Meinst du nicht, dass das möglich wäre?”, fragte er. Seine Augen funkelten. Offensichtlich machte ihm diese Unterhaltung großen Spaß.
“Das ist doch wirklich zu viel der Mühe für eine einzige Wählerstimme”, entgegnete sie.
Er legte verschmitzt den Kopf zur Seite: “Jede Stimme zählt.”
Grace seufzte. “Ich ruf dich an.”
“Bitte, Grace, komm mit!”, rief Teddy ihr aus dem Auto zu.
“Du könntest doch Madeline einfach mitbringen”, schlug Heath vor.
Grace schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. “Ich frag
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