Totsein ist Talentsache (German Edition)
daraufhin seine Waffe sinken und neigt grübelnd
den Kopf zur Seite.
„Was überlegen Sie da noch lange, Sie Trottel? Zwei
von denen sind Kinder von AOs und die anderen ihre Freunde! Glauben Sie
ernsthaft, dass Janus sie genauso krepieren lassen will wie die Gewöhnlichen da
oben? Also, an Ihrer Stelle würde ich die vier nicht einfach so zu den Kalten
schicken.“ Der Ober-AFFE denkt einen ausgedehnten Augenblick lang nach.
Schließlich befiehlt er dem Großteil der Truppe, sich zurückzuziehen. Nur er,
drei seiner Gefolgsmänner und der Fremde bleiben bei den Gefangenen zurück.
Vier gegen fünf. Das könnte zu schaffen sein. Zumal
der Lange aufgrund seiner gezierten Körperhaltung so aussieht, als würde er
nicht in Kampfhandlungen verwickelt werden wollen. Leider stehen Katjas
ambitioniertem Fluchtplan zwei Hindernisse im Weg: die beeindruckend schwere
Bewaffnung der Gegner sowie das kolossale Unvermögen zur Selbstverteidigung bei
mindestens drei ihrer drei Freunde. Fürs erste müssen sie sich ihrem Schicksal
wohl fügen. Es wird eine Chance zur Flucht geben. Die gibt es immer. Meistens.
Schauen wir mal.
Gemeinsam mit
den drei Beamten eskortiert der Kommandant seine Gefangenen durch das
Kellerlabyrinth. Der Mann, der die vier vor dem Tod bewahrt hat, um sie zu
ihrer Hinrichtung führen zu lassen, folgt mit einigem Abstand.
Laut und bedrohlich hallen die Schritte in den kalten
Gängen. Lampen, die vor wenigen Minuten noch ein wenig Trost und Zuversicht
gegeben haben, beleuchten nun den Weg ins Verderben. Bernd zittert. Er macht
sich Vorwürfe. Wäre er nicht so draufgängerisch und gedankenlos an die Sache
herangegangen, wären Anna und er jetzt in Sicherheit. Er hätte einfach nur den
Ausgang schließen und zu lassen sollen. Dann hätten sie weiter nach Max
gesucht, ihn wahrscheinlich wohlbehalten und friedlich schlummernd unter einem
Lindenbaum gefunden und wären nach Hause gefahren.
Gut, er hat seinen Freunden die Flucht ermöglicht und
damit zwei Menschenleben gerettet. Aber um welchen Preis? Katja und Jo hätten
es wahrscheinlich auch alleine geschafft. Ziemlich sicher sogar. Sie ist
gewitzt genug, um selbst in höchster Not einen Ausweg zu finden. Und er ist
verrückt genug, ihr überall hin zu folgen. Sogar jetzt wirkt Katja überlegen.
Selbstsicher und beinahe arrogant geht sie neben ihrem Bewacher her und zischt
ihm bösartige Aufmerksamkeiten zu. Jo läuft dicht hinter ihr. Ab und zu kramt
er in seiner Hosentasche und zieht kleine schwarze Kügelchen hervor, die er sich
unauffällig in die Nase steckt. Wenn den beiden die Flucht nicht gelungen wäre,
wem dann?
Mit hängenden
Schultern bleibt Bernd stehen. Er hat versagt. Auf ganzer Linie. Aber irgendwie
muss es weitergehen. Dieser Ansicht ist zumindest der AFFE, der ihn mit einem
groben Stoß darauf aufmerksam macht, dass keine Pausen eingeplant sind.
Anna nimmt all das nicht wahr. Wie benommen stolpert
sie hinter den anderen her. In ihrem Kopf spielt sich immer wieder die gleiche
Szene ab: Menschen, die blutverschmiert und mit seelenlosem Blick umherwanken.
Menschen, deren Körper zum Teil so schwer verletzt sind, dass sie unmöglich
noch am Leben sein können. Menschen, die Menschen fressen. Und ihr Vater ist
mitten unter ihnen. Er ist einer von ihnen. Anna hat es gesehen. Aber sie
begreift es nicht. Sie will es nicht verstehen. Weil nicht sein kann, was nicht
sein darf. Es gibt keine Menschen, die nach ihrem Tod wieder auferstehen. Die
halb verwest herumwandern und willkürlich andere Leute aufessen. Die Friedrich
als einen der ihren in ihrer Mitte akzeptieren.
„Mein Vater ist Bankdirektor. Er ist schwer krank. Er
ist kein Monster.“ Immer wieder sagt sich Anna das vor. Trotzdem will der
Anblick nicht aus ihren Gedanken verschwinden: Die Kreatur, die an den
Überresten eines Menschen reißt und große Stücke blutenden Fleisches
verschlingt. Die mit einem dumpfen Stöhnen den Kopf wendet und Anna ansieht.
Die trotz des Drecks und der Spuren von Verwesung eindeutig die Züge ihres
Vaters trägt.
Anna kann die
Übelkeit nicht mehr unterdrücken. Würgend fällt sie auf die Knie und übergibt
sich. Bräunliche Flüssigkeit und Magensäure schießen aus ihrem weit
aufgerissenen Mund auf den Boden und mischt sich dort mit den Tränen, die
unaufhörlich rinnen. Kraftlos kauert sie auf dem Boden und reagiert nicht auf
die scharfen Befehle des Uniformierten, der sie zum Weitergehen auffordert.
Bernd will zu ihr laufen, wird jedoch von seinem
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