Toxic: Der Biss - Das Feuer - Die Hölle Thriller (German Edition)
Nahtoderfahrung hatten, schenkte ich den Berichten wenig Glauben. Aber ich schwöre, dass ich meinen Vater in diesen aluminiumhellen Strahlen sah. Er winkte mich herbei, und ich trat in den hellen Sonnenschein hinaus und blickte von der Leftfield-Linie aus blinzelnd auf das smaragdgrün schimmernde Spielfeld, auf dem sich die Hoffnungen meines letzten Lebens in Luft aufgelöst hatten. Es war früh am Morgen, die Sprinkleranlage lief, noch war das Fenway-Park-Stadion leer. Die grüne Corvette stand im Schatten.
Mein Vater setzte sich, nahm die Kappe ab, die er beim Spiel immer trug, und lächelte. »Willkommen in meinem Himmel, Shay«, sagte er.
Von den Spuren seines gewaltsamen Todes sah man nichts mehr. Er wirkte sogar so glücklich und zufrieden, wie ich es nach einem der seltenen Spiele erlebt hatte, in denen die Red Sox die Yankees haushoch geschlagen hatten.
»Ist es auch meiner?«, fragte ich und sah mich um.
Er zuckte die Schultern. »Himmel oder Hölle erfindest du dir selber, mein Junge.«
»Meine Hölle habe ich hier auch schon erlebt, Dad«, sagte ich und warf einen Blick auf den Mound.
»Quatsch. Ich war in jenem Sommer da. Jedes Spiel habe ich gesehen, in dem du gepitcht hast. Und als es vorbei war, bist du ein guter Cop geworden.«
»Und jetzt ist das auch vorbei, oder? Wahrscheinlich ist das gut so. In letzter Zeit habe ich nicht gerade eine Glanznummer hingelegt. Bei diesen Ermittlungen habe ich Pfuscharbeit geleistet.«
»Stimmt, das war ein Murks. Hochkarätiger Murks sogar. Deine Zeit ist noch nicht reif. Du hast noch viel zu erledigen.«
»Aber ich weiß nicht, wie ich weitermachen soll«, gab ich zu.
»Das musst du auch nicht. Jimmy zeigt dir den Weg. Ich schaue auch nach dem Rechten. Aber du darfst nicht erwarten, dass ich dir vorangehe. Du musst schon über die Schulter schauen, um mich zu sehen.«
Danach erinnere ich mich nur noch, wie ich zwei Tage später auf der Intensivstation aufwachte. Als ich klar sehen konnte, entdeckte ich Jimmy, der mit Fay neben meinem Bett saß. Und ich hatte das Gefühl, dass mir das Leben noch einmal eine Chance gegeben hatte.
77
»Bloß nicht hier lang«, riet Rikko. Er hatte gesehen, wie ich den San Diegoer Broadway überquerte, und fing mich ab, bevor ich zum Haupteingang um die Ecke bog. »Wir nehmen den Eingang für die Geschworenen.«
Er dirigierte mich zu einer Seitentür, die von Sicherheitskräften bewacht war, und wir benutzten einen sonst den Richtern vorbehaltenen Aufzug. Als wir im zweiten Stock waren, stiegen wir aus und gingen durch den schmalen Korridor, der die Gerichtssäle von den Büros der Richter trennt. An der Tür von Richterin Marcia Allen bogen wir nach rechts ab und gelangten durch einen kurzen Gang in Saal Nummer fünf.
Die Plätze der Geschworenen waren leer, die Zuschauerbänke dafür brechend voll. Brett Tarentino bemerkte mich sofort. Als mich auch die anderen sahen, trat gespanntes Schweigen ein. Rikko und ich setzten uns in die erste Reihe am Mittelgang neben meine Schwester, Jorge, Missy und Freddie. Am Ende der Reihe saß der Polizeichef von Hattiesburg, Carlton Lee. Ich brachte ein Lächeln zustande und schüttelte ihm die Hand.
Brett schlüpfte in die Reihe hinter mir. »Hast du meine Serie gelesen?«, säuselte er.
Mit hervorragend recherchierten Artikeln hatte er seit meiner Rettung über den Fall berichtet. In der am selben Morgen erschienenen Daily News entführte er seine Leser nach Lost Hollow in Kentucky, wo auf dem Standesamt die Geburt von Lucas, Ada Mae und ihres Bruders Caleb vermerkt war. Dann suchte er die Familie auf. Die Starks von Lost Hollow schilderte er als mürrischen, abgeschotteten Clan, der in selbst gewählter Isolation in einem Garten Eden eigener Prägung lebte: einer Schweinefarm auf hundert Hektar fruchtbarem Boden.
Brett sprach mit einigen Familienmitgliedern aus der Generation von Lucas und Ada Mae. Sie berichteten, Lucas habe Ada Mae vom ersten Augenblick an geliebt. Sie war das zweite Kind, vier Jahre jünger als er. Schon als Baby war sie sein Ein und Alles gewesen. Als kleines Kind zog er sie, wohin er auch ging, in einem roten Leiterwagen hinter sich her. Als Caleb zur Welt kam, setzte er den Kleinen Ada Mae auf den Schoß und fuhr mit ihnen auf dem Farmhof herum. Bis zum Mord waren die drei buchstäblich unzertrennlich.
Als Caleb tot war und Lucas hinter Gitter wanderte, erlitt Ada Mae einen Nervenzusammenbruch. Sie lief weg und wurde ein Hippie, »ein anderer Mensch«,
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