Toxin
einen Hand und ein geschliffenes Kristallglas mit Bourbon in der anderen kletterte Bobby Bo auf den Beistelltisch und richtete sich auf. Dabei stieß er zur Freude seiner beiden Pudel eine Vorspeisenplatte mit marinierten Shrimps zu Boden.
Er schlug ein paarmal mit der Gabel gegen das Glas. Doch seine Gästen hörten ihn erst, als das Streichquartett zu spielen aufhörte.
»Alle mal herhören!« rief Bobby Bo über die Köpfe seiner Gäste in den Raum. »Im Eßzimmer wird gleich das Dinner serviert. Vergessen Sie nicht, die Nummer mitzunehmen, die Sie gezogen haben! Die Nummer entspricht dem Tisch, an dem Sie Platz nehmen sollen. Falls Sie noch keine Nummer gezogen haben sollten - Sie finden den Kübel im Foyer.« Während die Gäste das Wohnzimmer verließen, schaffte es Bobby Bo, ohne ein weiteres Mißgeschick von dem Beistelltisch hinabzusteigen.
Auf dem Weg ins Eßzimmer erblickte Bobby Bo seinen Sicherheitschef. Er entschuldigte sich bei seinem Gesprächspartner und ging zu Shanahan O’Brian. »Und?« flüsterte Bobby Bo. »Wie ist es gelaufen?«
»Problemlos«, erwiderte Shanahan.
»Wird die Sache noch heute abend erledigt?« wollte Bobby Bo wissen.
»In diesem Augenblick«, versicherte Shanahan. »Ich glaube, wir sollten Daryl Webster Bescheid geben. Dann kann er seinen Nachtwächter instruieren, sich nicht einzumischen.«
»Gute Idee.« Bobby Bo klopfte Shanahan grinsend auf die Schulter und eilte hinter seinen Gästen her.
Das laute Klingeln an der Haustür riß Kim aus seiner Melancholie. Für ein paar wirre Sekunden wußte er nicht, woher das Geräusch gekommen war. Da er auf einen Anruf wartete, hatte er als erstes zum Telefonhörer gegriffen. Daß es auch an der Tür klingeln konnte, hatte er zunächst gar nicht in Erwägung gezogen. Als er merkte, daß er sich getäuscht hatte, warf er einen Blick auf die Uhr. Es war Viertel vor neun. Wer konnte am Samstag abend um diese Uhrzeit bei ihm klingeln? Außer Ginger kam eigentlich niemand in Frage, aber Ginger rief immer an, bevor sie sich auf den Weg machte. Plötzlich fiel ihm ein, daß er seinen Anrufbeantworter nicht abgehört hatte. Sie konnte also angerufen und ihm eine Nachricht hinterlassen haben. Während er darüber nachdachte, klingelte es erneut.
Er hatte eigentlich keine Lust, Ginger zu sehen, doch als es zum dritten Mal klingelte und es auch noch an der Tür pochte, erhob er sich. Er überlegte, wie er sie begrüßen sollte, als zu seiner Überraschung nicht Ginger, sondern Tracy vor ihm stand.
»Wie geht es dir?« fragte Tracy leise. »Geht so«, erwiderte Kim. Er war verblüfft. »Darf ich reinkommen?« fragte Tracy.
»Natürlich«, erwiderte Kim und trat einen Schritt zurück, um ihr Platz zu machen. »Tut mir leid. Ich bin so baff, daß ich gar nicht daran gedacht habe, dich hereinzubitten.« Tracy ging in die düstere Diele und stellte fest, daß nur ein Licht im ganzen Haus brannte. Sie reichte Kim ihren Mantel und ihren Regenschutz.
»Ich hoffe, du hast nichts dagegen, daß ich unangekündigt bei dir hereinplatze«, sagte sie.
»Ist schon okay«, entgegnete Kim und hängte ihre Sachen auf. »Eigentlich wollte ich niemanden sehen«, erklärte Tracy und seufzte. »Aber dann mußte ich an dich denken und habe mir Sorgen gemacht. Du warst so aufgebracht, als du aus dem Krankenhaus gestürmt bist. Ich glaube, außer uns beiden kann niemand nachvollziehen, wie wir uns fühlen. Schließlich war es unsere gemeinsame Tochter, die wir verloren haben. Ich glaube, ich brauche Hilfe, und du wahrscheinlich auch.« Tracys Worte machten alle Hoffnungen zunichte. Er konnte nicht länger leugnen, daß Becky tot war. Plötzlich überflutete ihn eine Woge von Traurigkeit, die er bisher zu verdrängen versucht hatte. Er seufzte und wischte sich über die Augen. Für einen Augenblick konnte er nichts sagen. »Hast du im Wohnzimmer gesessen?« fragte Tracy. Kim nickte.
»Ich hole mir einen Stuhl aus dem Eßzimmer«, sagte Tracy. »Laß nur«, kam Kim ihr zuvor. »Das mache ich.« Ein wenig körperliche Betätigung konnte ihm nur guttun. Er stellte den Stuhl in den Halbschatten der Stehlampe. »Möchtest du etwas trinken? Ich habe mir eben einen Scotch eingeschenkt.«
»Danke, lieber nicht.« Tracy setzte sich, beugte sich nach vorn und legte ihr Kinn in die aufgestützten Hände. Kim ließ sich wieder in den Klubsessel fallen und betrachtete seine Ex-Frau. Ihr dunkles Haar, das sonst immer wellig und voll war, klebte ihr platt am Kopf. Das
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