Toxin
wenige Make-up, das sie aufgetragen hatte, war verschmiert. Es war nicht zu übersehen, daß sie furchtbar litt, doch ihre Augen waren so strahlend und funkelnd, wie Kim sie seit jeher kannte.
»Ich wollte dir noch etwas sagen«, begann Tracy. »Nachdem ich eine Weile darüber nachgedacht habe, ist mir klargeworden, daß es sehr mutig von dir war, wie du Becky zu helfen versucht hast.« Sie hielt einen Augenblick inne und biß sich auf die Lippe. »Ich hätte das niemals machen können - auch nicht, wenn ich Chirurgin wäre.«
»Nett, daß du zu mir stehst«, entgegnete Kim. »Danke.«
»Zuerst war ich total schockiert«, gestand Tracy. »Eine Massage am offenen Herzen ist immer eine verzweifelte Maßnahme«, erklärte Kim. »Und wenn man es dann auch noch bei der eigenen Tochter tun muß… nun ja, das Krankenhaus wird die Sache bestimmt anders sehen als du.«
»Du hast es aus Liebe zu Becky getan«, sagte Tracy. »Es war überhaupt nicht anmaßend, obwohl ich das zuerst gedacht habe.«
»Ich habe ihr den Brustkorb aufgeschnitten, weil die externe Herzmassage nichts brachte«, erklärte Kim. »Ich konnte Becky nicht einfach sterben lassen. Es wußte doch keiner, wieso sie immer wieder diese Herzstillstände hatte. Jetzt weiß ich warum - und auch warum die externe Herzmassage fruchtlos war.«
»Ich hatte keine Ahnung, daß Kolibakterien so eine furchtbare Krankheit auslösen können«, flüsterte Tracy. »Ich auch nicht«, gestand Kim.
Das Klingeln des Telefons ließ sie beide hochfahren. Kim griff nach dem Hörer. »Hallo!« meldete er sich barsch. Tracy sah, wie seine Gesichtszüge sich veränderten. Zuerst schien er etwas verwirrt, doch dann wurde er ärgerlich. »Hören Sie auf!« raunzte er in den Hörer. »Ihr Sermon interessiert mich nicht die Bohne. Und ich brauche auch keine Kreditkarte von Ihrer Firma. Machen Sie auf der Stelle die Leitung frei!« Er knallte den Hörer auf.
»Klingt so, als würdest du einen Anruf erwarten«, stellte Tracy fest und stand auf. »Ich störe wohl. Vielleicht sollte ich besser gehen.«
»Nein«, entgegnete Kim und korrigierte sich sofort. »Ich meine natürlich, du hast recht: Ich erwarte einen Anruf. Aber du sollst nicht gehen.«
Tracy legte den Kopf auf die Seite. »Irgendwie reagierst du seltsam. Was ist denn los?«
»Ich bin total durch den Wind«, gestand Kim. »Aber…« Bevor er erklären konnte, warum er so nervös war, klingelte das Telefon erneut. Wieder riß er den Hörer von der Gabel und meldete sich mit einem hektischen »Hallo«.
»Ich bin’s. Ich habe etwas entdeckt.«
»Was?« fragte Kim, während er Tracy bedeutete, sich wieder hinzusetzen.
»Etwas sehr Interessantes wahrscheinlich«, erwiderte Marsha. »Ich habe eine Differenz entdeckt. Die internen Unterlagen vom neunten Januar stimmen nicht mit denen überein, die für das Ministerium bestimmt sind.«
»Inwiefern?« fragte Kim.
»Kurz vor Feierabend wurde noch eine Kuh geschlachtet«, erwiderte Marsha. »In den Firmenunterlagen hat man dem Tier die Liefernummer sechsunddreißig und die Kopfnummer siebenundfünfzig gegeben.«
»Und?« fragte Kim. »Ist es in irgendeiner Weise von Bedeutung, daß sie ein zusätzliches Tier geschlachtet haben?«
»Ich würde sagen, ja«, erwiderte Marsha. »Das heißt nämlich, daß die Kuh nicht vom Veterinär des Landwirtschaftsministeriums untersucht wurde.«
»Wollen Sie damit sagen, das Tier könnte krank gewesen sein?« fragte Kim.
»Die Möglichkeit müssen wir in Erwägung ziehen«, erwiderte Marsha. »Die Rechnung deutet ebenfalls darauf hin, daß mit dem Tier etwas faul war. Es war nämlich kein Stier aus der Rindfleischzucht, sondern eine Milchkuh, die der Schlachthof einem gewissen Bart Winslow abgekauft hat.«
»Das müssen Sie mir genauer erklären.«
»Milchkühe werden oft zu Hamburgerfleisch verarbeitet«, erläuterte Marsha. »Das ist das eine. Das andere ist - ich kenne den Namen Bart Winslow. Er kommt hier aus der Gegend und ist ein sogenannter 4-T-Mann. Das bedeutet, er fährt herum und holt verendete Tiere von den Farmen ab - genauer gesagt, Tiere, die tot, todkrank oder todgeweiht sind. Der Job von 4-T-Männern ist es, die Tiere zur Abdeckerei zu bringen, wo sie zu Dünger oder Viehfutter verarbeitet werden.«
»Das reicht«, sagte Kim. »Mehr möchte ich gar nicht darüber hören. Erzählen Sie mir jetzt bloß nicht, daß diese Tiere manchmal auch an Schlachthöfe verkauft werden.«
»Doch. Und das Tier, das am neunten Januar
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