Toxin
nächsten Augenblick strömten jede Menge Ärzte, Schwestern und Pfleger aus allen Räumen. Sogar Tracy eilte herbei, nachdem sie den Notruf gehört hatte. Um Kim und Barclay Bradford bildete sich eine Menschentraube. Der stellvertretende Krankenhausdirektor hatte sich inzwischen aufgerichtet und betastete mit dem Handrücken seine blutende Lippe. »Mein Gott, Kim!« rief Tracy. »Ich habe dich doch extra um Beherrschung gebeten!«
»Ihr Benehmen ist völlig inakzeptabel«, sagte Monica und fügte an den Studenten gewandt hinzu: »Rufen Sie die Polizei!«
»Stop! Rufen Sie niemanden!« rief eine tiefe, sonore Stimme. Die Menschentraube machte einem kräftig gebauten, gutaussehenden Afro-Amerikaner Platz, der in die Mitte trat und sich seine Latex-Handschuhe von den Händen streifte. Auf seinem Namensschild stand: Dr. David Washington, Diensthabender Leiter der Notaufnahme. Er ließ seinen Blick zwischen Kim und dem am Boden hockenden Mr. Bradford hin- und herschweifen. »Was geht hier vor?«
»Dieser Mann hat Mr. Bradford niedergeschlagen«, erklärte Monica und zeigte auf Kim. »Und vorher hat er einen Ablagekorb so auf den Tresen gedonnert, daß er nicht mehr zu gebrauchen ist!«
»Und ob Sie’s glauben oder nicht - er ist Arzt und arbeitet in unserem Krankenhaus«, fügte Molly hinzu. Dr. Washington reichte Mr. Bradford die Hand und zog ihn auf die Füße. Dann begutachtete er die gespaltene Lippe und tastete den Kiefer des Verletzten ab.
»Geht’s wieder?« fragte er den Mann von der Verwaltung. »Ich denke, ja«, erwiderte Mr. Bradford. Er zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und betupfte seine blutende Lippe. An Monica gewandt ordnete Dr. Washington an: »Nehmen Sie Mr. Bradford mit nach hinten, und säubern Sie die Wunde. Und bitten Sie Dr. Krugger hinzu. Er soll entscheiden, ob eine Röntgenaufnahme nötig ist.«
»Okay«, entgegnete Monica. Sie nahm Mr. Bradford am Oberarm und manövrierte ihn aus dem Gedränge, doch bevor er sich wegführen ließ, warf er Kim einen finsteren Blick zu. »Bitte gehen Sie jetzt alle wieder an Ihre Arbeit«, rief Dr. Washington und unterstrich seine Worte mit einer Handbewegung. Dann wandte er sich an Kim, der sich inzwischen etwas beruhigt zu haben schien. »Wie heißen Sie?« fragte er. »Dr. Kim Reggis.«
»Haben Sie Mr. Bradford wirklich geschlagen?« fragte Dr. Washington ungläubig. »Ich fürchte ja«, erwiderte Kim.
»Was hat Sie denn dazu gebracht?« wollte Dr. Washington wissen.
Kim holte tief Luft. »Dieser Schnösel hat mich von oben herab belehrt, ich hätte kein Recht auf eine Vorzugsbehandlung - und das, nachdem ich bereits seit zweieinhalb Stunden mit meiner kranken Tochter darauf warte, daß sie endlich untersucht wird.«
Dr. Washington starrte Kim an. Es war ihm völlig schleierhaft, wie ein Kollege derart ausrasten konnte. »Wie heißt Ihre Tochter?« fragte er schließlich. »Rebecca Reggis«, erwiderte Kim.
Dr. Washington wandte sich an den Studenten und bat um Beckys Aufnahmeformular. Der junge Mann suchte den Stapel durch.
»Gehören Sie wirklich zur Belegschaft des University Medical Centers?« fragte Dr. Washington, während er auf das Formular wartete.
»Erst seit der Zusammenlegung«, erklärte Kim. »Ich bin Herzchirurg, aber hier in der Notaufnahme hat man mich eher wie einen Aussätzigen behandelt.«
»Wir tun unser Bestes«, entgegnete Dr. Washington. »Ja, den Spruch habe ich heute abend schon mehrmals gehört.« Dr. Washington sah Kim in die Augen. »Wissen Sie eigentlich, daß Sie sich schämen sollten? Erst zerschmettern Sie einen Ablagekorb, dann schlagen Sie einen Mann nieder! Sie benehmen sich wie ein aufsässiger Teenager.«
»Lecken Sie mich doch!« entgegnete Kim. »Diese Bemerkung will ich Ihnen im Augenblick ausnahmsweise durchgehen lassen«, sagte Dr. Washington. »Schließlich stehen Sie unter Streß.«
»Werden Sie bloß nicht überheblich!« fuhr Kim ihn an. »Hier ist es«, unterbrach der Student ihre kleine Auseinandersetzung und reichte Dr. Washington das gesuchte Formular. Dr. Washington warf einen Blick auf das Blatt und sah dann auf seine Uhr. »Wenigstens stimmt Ihre Zeitangabe. Sie warten jetzt seit fast drei Stunden. Das rechtfertigt zwar noch lange nicht Ihr Verhalten, aber die Wartezeit ist in der Tat zu lang.«
Dann drehte er sich zu Tracy um. »Sind Sie Mrs. Reggis?«
»Ich bin Rebeccas Mutter«, erwiderte Tracy. »Würden Sie bitte Ihre Tochter holen? Dann sehe ich sie mir gleich mal
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