Toxin
Kim ohne Umschweife. Es war eine Erklärung, keine Entschuldigung. Er war nicht geneigt, Reue zu zeigen.
»Für Gewalttätigkeiten gibt es keine Entschuldigung«, bemerkte Dr. Biddle. »Mr. Bradford überlegt, ob er Sie verklagen soll. Ich könnte es ihm nicht verdenken.«
»Wenn jemand verklagt werden sollte, dann ja wohl AmeriCare«, entgegnete Kim. »Ich habe mehr als drei Stunden gewartet, und zwar in erster Linie deswegen, weil AmeriCare vor allem an Profit denkt.«
»Über einen Verwalter herzufallen ist keine geeignete Art, Gesellschaftskritik zu üben«, stellte Dr. Biddle klar. »Und genauso unangebracht ist es, sich direkt an die Medien zu wenden - wenn ich das hinzufügen darf. Eigentlich hatte ich vor, nichts zu Ihrem Fernsehkommentar zu sagen, der Freitag abend ausgestrahlt wurde. Aber das war vor diesem unentschuldbaren Zwischenfall. Öffentlich zu behaupten, das University Medical Center und das Samaritan Hospital seien einzig und allein deshalb zusammengelegt worden, weil AmeriCare mehr Gewinn machen will, schadet dem Ruf dieser Klinik.« Kim stand auf. Offenbar war nicht vorgesehen, daß auch er zu Wort kam, und er hatte keine Lust, noch länger sitzen zu bleiben und sich wie ein ungezogener Schuljunge maßregeln zu lassen. »Wenn das alles war, gehe ich jetzt. Meine Patienten warten auf mich.«
Dr. Biddle schob seinen Stuhl zurück und erhob sich ebenfalls. »Eins sollten Sie nicht vergessen, Dr. Reggis«, sagte er zum Abschied. »Vor der Zusammenlegung hat man in dieser Abteilung darüber nachgedacht, für den Bereich Herzklappenersatz einen Vollzeitchirurgen anzustellen, anstatt Ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Aufgrund Ihres jüngsten Verhaltens werden wir diese Alternative vermutlich noch einmal in Erwägung ziehen.«
Kim drehte sich um und verließ wortlos das Büro. Es war sinnlos, auf eine derartige Drohung einzugehen, zumal sie bei ihm kaum die beabsichtigte Wirkung erzielte. Er erhielt ständig Angebote von angesehenen Kliniken aus dem ganzen Land. Der einzige Grund, warum er immer noch im University Medical Center arbeitete, war, daß Tracy und er sich das Sorgerecht für Becky teilten und Tracy wegen ihres Studienplatzes nicht umziehen konnte.
Kim war wieder einmal wütend. In letzter Zeit schien das sein Dauergemütszustand zu sein. Beim Verlassen des Verwaltungstraktes lief er direkt Kelly Anderson und ihrem Kameramann Brian in die Arme.
»Dr. Reggis!« rief Kelly begeistert. »Auf Sie hatte ich gewartet.«
Kim warf der Fernsehjournalistin einen finsteren Blick zu und ging schnellen Schrittes weiter den Flur entlang. Kelly rannte hinter ihm her. Brian blieb ihr trotz seiner schweren Ausrüstung dicht auf den Fersen.
»Mein Gott, Dr. Reggis«, keuchte Kelly. »Trainieren Sie für einen Marathonlauf? Nun warten Sie doch mal! Ich muß mit Ihnen reden.«
»Ich habe keine Veranlassung, mit Ihnen zu reden«, entgegnete Kim.
»Aber ich möchte gerne hören, was Sie zu dem Zwischenfall gestern abend in der Notaufnahme zu sagen haben«, insistierte Kelly.
Kim blieb so abrupt stehen, daß Brian in ihn hineinrannte. Brian entschuldigte sich überschwenglich, doch Kim ignorierte ihn; er starrte Kelly entgeistert an. »Wie, zum Teufel, haben Sie das denn schon wieder spitzgekriegt?«
»Da staunen Sie, stimmt’s?« entgegnete Kelly mit einem verschmitzten, selbstbewußten Grinsen. »Aber Sie verstehen sicher, daß ich meine Quellen nicht bekanntgeben darf. Ich mache so oft Medizin-Stories, daß ich hier inzwischen über meine eigene fünfte Kolonne verfüge, die mich mit Informationen versorgt. Sie würden sich wundern, was für Geschichten mir manchmal zugetragen werden. Leider sind sie meistens belanglos - wer es gerade mit wem treibt und so. Aber manchmal gibt mir auch jemand einen wirklich guten Tip - zum Beispiel über den Zwischenfall in der Notaufnahme gestern abend: Herzchirurg schlägt Krankenhausverwalter k. o. Wenn das keine Nachricht ist!«
»Ich habe Ihnen nichts zu sagen!« Kim marschierte wieder los. »Da bin ich aber anderer Meinung«, erklärte Kelly, als sie ihn eingeholt hatte. »Drei Stunden mit einem kranken Kind in der Notaufnahme warten zu müssen - das war bestimmt kein Zuckerschlecken. Und genau darüber würde ich gerne mit Ihnen reden.«
»Schade für Sie«, entgegnete Kim. »Für mein Statement über die Profitgier von AmeriCare habe ich mir nämlich eben erst einen Rüffel eingefangen. Ich werde mir auf keinen Fall noch mal den Mund
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