Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
keinerlei Notiz mehr, denn die Angst um Michael
breitete sich immer mehr in ihren Herzen aus.
Nur bruchstückhaft
erinnerte sie sich, dass sie den Tempel durchschritten und
irgendwann in dem heiligen Alkoven-Saal standen. Wie durch einem
Nebel nahm sie die unzähligen Gestaltwandler und die anderen
Geisterkrieger wahr, die ihr vorgestellt wurden. Mit einer
tiefen Verbeugung zollte Amy ihnen Respekt.
Danach beobachtete
sie die große Menschenmenge und hätte fast ironisch aufgelacht.
Scheinbar war sie das einzige menschliche - und somit sterbliche
Geschöpf - in dieser unterirdischen Welt.
Sie stand zwischen
Mahu, Taylor, Frank und Ben. Neben ihnen, in zwei Meter
Entfernung, stand Suletu mit ihrem Vater und nickte ihr
aufmunternd zu. Amy lächelte schwach zurück. Immer mehr
fühlte sie eine geballte Vision der Angst in sich hochkommen.
Nicht um sich selber – nein - sie fühlte, dass mit Michael etwas
passieren würde. Mahu spürte ihre innere Unruhe und drückte
beruhigend ihre Hand.
Aber Amy hatte nur
noch Augen für Michael, der jetzt zusammen mit seinem Vater und
dem Anführer des Igmu Tanka-Clans vor den Dogianern stand.
Langsam ebbten die sakralen Gesänge zu den Trommeln ab und
machten einer respektvollen Stille Platz. Daraufhin stand Tohu,
das Oberhaupt des weisen Rates, auf und erhob das Wort.
»Sebastién
Sinnamon! Du bist der Clanführer der Igmu Tanka und somit
verantwortlich für unseren Distrikt in Minnesota. Wir höre
deinen Bericht.«
Ein großer und
hünenhafter Mann löste sie aus der Gruppe der Geisterkrieger. Er
verbeugte sich vor dem Rat und begann mit seinen Bericht.
»Mit Verlaub,
Tohu. Unser Clan hat den Vorfall gewissenhaft geprüft. Wir haben
alle Fakten zusammengetragen und danach habe ich nach besten
Gewissen entschieden. Nach dem Massaker in der Schule haben wir
alles beobachtet und keinerlei Anzeichen einer Anomalität
entdeckt. Als Gladys Bluewater an uns herantrat und um Hilfe
bat, haben wir noch einmal alles analysiert und alle vorhandenen
Informationen erneut zu hundert Prozent geprüft. Wir haben
sämtliche Polizeidateien und Auswertungen der psychologischen
Forensik durchforstet. Doch weder die Polizei, noch wir, konnten
paranormale Auffälligkeiten entdecken. Jeffrey Bluewater war nicht normal, das stimmt. Aber seine Internetpräsenz bestätigt die
Erkenntnisse der Polizei, dass er aus selbstsüchtigen und
rassistischen Gründen gemordet hat.
Auch das FBI hat
der Website mit den satanischen Versen keine größere Bedeutung
beigemessen.
Und mit Verlaub
Tohu: mir schien das alles auch sehr suspekt. Wie sollte ein
siebzehnjähriger, scheinbar debiler Junge eine uns unbekannte,
satanische Unterwelt wieder zum Leben erwecken? Das erschien
mir, auch nach eingehender Beratung mit allen Mitgliedern des
Igmu Tanka-Clans, absolut unmöglich. Darum habe ich die einzige
und richtige Entscheidung getroffen; das das kein Fall für den
heiligen Rat und für uns Geisterkrieger ist.«
Nervös warf er
einen Blick auf Tohu. Dieser sah ihn jedoch mit einem neutralen
und nicht zu deutenden Gesichtsausdruck an, das keinerlei
Rückschlüsse zuließ.
»Also«, fuhr
Sebastién fort, »wir haben eindeutig neonazistische Züge in dem
Amoklauf gesehen, genau wie auch das FBI vermutet hat. Und das
ist der Hauptgrund, warum wir Gladys Bluewater nicht geglaubt
haben. Die Geschichte, die sie uns präsentiert hat, war einfach
zu unrealistisch.«
Sebastién standen
Schweißperlen auf der Stirn. Er wurde immer unruhig und trat von
einem Fuß auf den anderen. Tohu schwieg noch immer.
Sébastien wurde
langsam immer nervöser. Verlegen fuhr er sich übers Haar,
wanderte mit seiner Hand weiter zu seinem Hals, öffnete fahrig
den obersten Knopf seines Hemdes und lockerte den Knoten seiner
Krawatte.
Abwartend starrte
er den weisen Rat der Dogianer an und wartete auf ihr Urteil.
Minuten, die sich zu einer halben Ewigkeit ausdehnten,
verstrichen und Amy wagte nicht einmal zu atmen. Endlich erhob
sich Tohu und alle Augen waren auf ihn gerichtet.
»Sebastién. Wir
alle, die Hüter der Lilien, wurden dazu auserkoren, die Menschen
zu beschützen. Wir leben in einer Grauzone zwischen den Welten
des Guten und des Bösen. Wir müssen uns immer wieder
weiterbilden und den bösen Mächten immer einen Schritt voraus
sein.«
Tohu schwieg und
sein älterer Bruder übernahm das
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