Tränen des Mondes
sitzen, während die Männer arbeiteten, sah sich in Tyndalls Büro mit ihrem eigenen Spielzeuglogger spielen. Sie sah die Straßen Broomes von den Schultern ihres Vaters aus, hielt sich mit einer Hand an seinen Locken fest, die andere legte sie über sein Ohr mit dem Perlenohrring.
Anfangs waren diese Erinnerungen sehr lebendig, bald aber versanken sie in den unteren Regionen ihres Bewußtseins, und Maya wandte sich den Ereignissen ihres neuen Alltags zu. Sie genoß es, zu einer großen Familie zu gehören, immer Freunde zum Spielen zu haben und so viele Tanten und Onkel und Großmütter. Gehorsam lief sie neben dem Mädchen her, das ihr zur großen Schwester bestimmt worden war, spielte mit den anderen Kindern, wenn sie bei einer Wasserstelle Halt machten, und kletterte am Abend schläfrig in den nächsten breiten Schoß, wenn sich die Frauen nach dem Essen ums Lagerfeuer versammelten.
In den nächsten Wochen hörte die Angst, Maya verloren zu haben, nicht auf, an Tyndall zu nagen. Noch einmal versuchte er, über seine Freunde unter den Aborigines eine Nachricht zu übermitteln und herauszufinden, wo sie sich aufhielt. So erfuhr er, daß die Aborigines, mit denen er und Olivia sich an der Küste angefreundet hatten, weitergezogen waren.
Monsieur Barat wurde erst in mehreren Wochen erwartet, und Olivia und Tyndall wahrten eisernes Stillschweigen über ihren Perlenfund, wenn auch einige Gerüchte kursierten. Olivia wußte genau, daß alle Sammler und ernsthaften Käufer keine Perle erwerben würden, die man schon ›herumgezeigt‹ hatte oder die gar in aller Munde war.
»Wir müssen uns einfach ruhig verhalten. Wenigstens geht der Klatsch nicht um uns.« Er grinste sie verschmitzt an.
»Glaubst du, das steht uns bevor? Daß sie über uns reden? Das kann doch nicht sein! Niemand weiß etwas.«
Tyndall lachte sie aus, weil sie so bekümmert aussah. »Schämst du dich wegen mir oder was?«
»Aber nein. Doch ich bin offiziell immer noch in Trauer, und auch du bist nicht ungebunden.« Olivia sprach endlich aus, was sie an ihrer Beziehung am meisten bedrückte. »Was machst du, wenn Niah zurückkommt?«
»Ich bin nicht sicher, ob sie jemals wiederkommen wird.« Er sah gequält aus. »Ich will nicht Niah wiederhaben, sondern Maya. Niah ist reizend, aber sie kann mir nicht geben, was du mir gibst, Olivia. Mit dir kann ich reden, wir haben einen gemeinsamen Hintergrund, und das bedeutet sehr viel. Du schenkst mir das Gefühl, ein ganzer Mensch zu sein. Das ist sehr wertvoll für mich.« Seine Worte kamen zögernd, fast schüchtern.
»Wo führt das alles hin, John?«, fragte sie leise.
»Wir brauchen Zeit, Olivia. Wir müssen uns auf diesem Weg, den wir eingeschlagen haben, langsam weiter vortasten und aufdringlichem Geschwätz und allen Leuten, die ihre Nase in unsere Angelegenheiten stecken wollen, aus dem Weg gehen. Ich fürchte, uns bleibt nichts anderes übrig, als alles geheimzuhalten.«
»Ich verstehe. Ich bin auch nicht bereit, mich Hals über Kopf in etwas hineinzustürzen, John. Und ich muß auch Rücksicht auf Hamishs Gefühle nehmen.«
So blieb die neue Wendung, die ihre Beziehung genommen hatte, ihr Geheimnis. Sie behielten die vertraute Nähe bei, die ihnen in diesen harten Monaten im Leben und bei der Arbeit so viel Halt gegeben hatte. Niemand in der Stadt bemerkte eine Veränderung.
Trotzdem stahlen sie sich Momente des Zusammenseins, und in einem Augenblick der Erleuchtung schlug Tyndall eine gemeinsame Reise nach Perth vor. »Ich habe an Monsieur Barat telegraphiert und ihn gefragt, ob wir ihn dort treffen können. Es ist doch das Naheliegendste, dort mit ihm die Verkaufsverhandlungen zu führen. Wir haben ja versucht, die Sache nicht an die große Glocke zu hängen, trotzdem wissen genügend Leute Bescheid, daß verständlich wird, warum wir eine Geschäftsreise in den Süden machen müssen.« Plötzlich ließ Tyndall seinen Gefühlen freien Lauf und fuhr mit den Armen durch die Luft. »Stell dir vor, Olivia, wir können in Perth in einem schönen großen Hotel wohnen, in guten Restaurants essen gehen, vieles gemeinsam unternehmen und dabei anonym bleiben.« Eine Weile gebärdete er sich wie ein aufgeregter Schuljunge.
Auch Olivia fand den Gedanken an ein romantisches Zwischenspiel mit Tyndall unwiderstehlich. »O ja, das machen wir!« stimmte sie gleichermaßen aufgeregt zu.
Sie beschlossen, mit ihrer Reise bis zum Ende der Saison zu warten und organisierten inzwischen alles – Minnie
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