Tränen des Mondes
einen Schuß widerhallen, den wohl jemand in blinder Wut abgefeuert hatte.
Als sie in die Nacht hinaustrieben, erzählte Tyndall Olivia von der Begegnung mit Gunther und von Niahs Schicksal.
Seine Stimme erstickte, und Olivia nahm seine Hand. »Es tut mir so leid für dich, John. So etwas Furchtbares. Kann die Polizei denn nichts machen? Wir müssen es melden.«
»Nein, das hat keinen Zweck, wir haben keine triftigen Beweise, und in ein paar Tagen wird hier von ihrem Lager keine Spur mehr zu sehen sein, darauf kannst du dich verlassen.«
Minnie verstummte, als Olivia ihr von Niahs Tod im Meer berichtete, und sagte nur wenig dazu.
»Ich mache mir Sorgen um die kleine Maya da draußen. Sie ist an ein solches Leben nicht gewöhnt. Ob es ihr wohl gut geht?«, fragte Olivia.
»Sie schnell lernen. Die anderen sich um sie kümmern.«
»Werden sie sie zurückbringen, Minnie? Schließlich ist Tyndall doch ihr Vater.«
»Wenn größer, wird sie ganze Geschichte hören. Maya dann entscheidet.«
»Ich finde das einfach nicht fair gegenüber Tyndall. Aber wenigstens ist sie bei ihrer Familie. Ich kann mir vorstellen, daß sie ihre Mutter sehr vermißt.«
»Niah auch gehört zu meine Familie.«
Als Olivia Minnies trauriges Gesicht sah, sagte sie leise: »Du darfst dir selbst keine Schuld geben, Minnie. Du hast schließlich das Beste für die beiden gewollt.« Dann wurde ihr klar, daß Maya auch mit Minnie entfernt verwandt sein mußte. Die komplexen Familienbande der Aborigines waren verwirrend, aber vielleicht durften sie deshalb hoffen, daß Maya wirklich eines Tages zu Tyndall zurückkehren würde.
Schließlich brachte ein Dampfer mit der Post auch einen Brief von Monsieur Barat. Darin legte der Perlenhändler ausführlich dar, was ein undurchschaubares Telegramm einige Monate zuvor schon angedeutet hatte: Es war ein befriedigender Verkauf zustande gekommen.
Das Perlenphänomen ›Star of the Sea‹ war für einen Rekordpreis von einem indischen Prinzen erworben worden. Der extravagante Prinz, ein Salonlöwe der Londoner Gesellschaft, hatte nichts gegen Publicity, deshalb wurde in den Londoner Zeitungen ausführlich über den Kauf berichtet. Fotos zeigten den prunkvoll gekleideten Prinzen mit einer Revuetänzerin im linken und einer Schauspielerin im rechten Arm, die immer noch in ihrer Schale sitzenden Perlen, die der Prinz bei Tiffany als Brosche fassen lassen wollte, und schließlich Kapitän John Tyndall, »den schneidigen Perlenbaron aus Broome, Australien«, der den märchenhaften Fund gemacht hatte – letzteres Foto war von Monsieur Barat beigesteuert worden.
Tyndall und Olivia überlegten, was sie mit ihrem plötzlichen Reichtum anfangen sollten, und beschlossen, den größten Teil des Geldes in das Unternehmen zu investieren. Olivia wollte mit einem Teil des Gewinns ein Haus in Fremantle kaufen, als Geldanlage. Tyndall kündigte an, daß er auf einem Hügel ein neues Haus mit Ausblick aufs Meer bauen wolle, nicht weit vom Ufercamp mit den Muschelschuppen.
Einige Wochen später entrollte er auf Olivias Veranda den Entwurf. Olivia war sprachlos vor Staunen.
»Das ist ja ein Palast, John! Ich meine, es ist so groß, und der Garten zieht sich über den ganzen Hügel, aber die Terrassen, die gefallen mir. Von der vorderen Veranda wird man eine prächtige Aussicht auf die Bucht haben.«
»Du wirst zuschauen können, wie die Flotte zurückkehrt«, sagte er schüchtern.
»Von deinem Haus aus?« Sie sah ihn verwirrt an.
»Hmm, ja, Olivia. Ich hatte mir gedacht, daß es auch dein Haus sein soll.«
Ihr Herz schlug einen Purzelbaum, und sie hielt den Atem an, dann breitete sich auf ihrem Gesicht ein schalkhaftes Lächeln aus. »Heißt das, du fragst mich, ob wir unsere Beziehung legalisieren sollen?«
»Unsere Beziehung legalisieren?« wiederholte er erstaunt, da ihm der Humor in ihrer Stimme entgangen war. »Ich frage dich, ob du mich heiraten willst.« Wie er das vorbrachte, klang es mehr nach einer Erklärung als nach einer Frage. »Ich habe dich immer geliebt, Olivia. Vom ersten Augenblick an, als ich dich damals am Strand gesehen habe. Ich dachte nie, daß ich dich gewinnen könnte, und gab mich damit zufrieden, in deiner Nähe zu sein. Ich habe so gerne Seite an Seite mit dir gearbeitet und dich immer als eine außergewöhnliche Frau empfunden. Aber in diesen letzten Monaten, seit wir uns gefunden haben … Ich kann es nicht mehr ertragen, meine Gefühle zu verbergen und nicht ständig mit dir
Weitere Kostenlose Bücher