Tränen des Mondes
zusammensein zu dürfen. Und ich habe erkannt …«
Olivia begann zu zittern. Sie hatte sich nie eingestanden, daß sie sich beide seit ihrer ersten Begegnung schicksalhaft zueinander hingezogen fühlten. Sie hatte gegen ihre Gefühle angekämpft, gegen die starke physische Anziehungskraft dieses Mannes, und hatte den Entschluß gefaßt, sich nie von ihm erobern zu lassen. Denn sie wußte, wenn sie einmal ihren Gefühlen nachgeben und ihm in die Arme sinken würde, wäre sie für immer an ihn verloren. Eine solche Leidenschaft, ein so tiefes Gefühl des Zusammengehörens hatte sie noch nie in ihrem Leben empfunden.
Seit dem Beginn ihrer Liebesbeziehung hatte sie noch nicht über die wenigen Momente, die sie miteinander teilten, hinauszudenken gewagt.
»Olivia … sag was!« Er faßte nach ihrer Hand und spürte, wie sie zitterte.
Sie legte ihm die Finger auf die Lippen. »Es ist gut, John. Es ist alles gut. Ich liebe dich auch. Ja, John Tyndall, ich werde dich heiraten.«
Er riß sie in seine Arme und küßte sie leidenschaftlich, seine Lippen wollten sich von ihrem Mund nicht mehr lösen.
Später gingen sie Hand in Hand zu Minnie und teilten ihr die Neuigkeit mit.
Minnie strahlte und nickte weise. »Hab ich mir gedacht.«
Olivia erzählte es Hamish, als sie nach dem Abendessen allein waren. Er zeigte sich auf Anhieb begeistert und erleichtert. Seit dem Tod seines Vaters fehlte ihm das Gefühl sicherer Geborgenheit, und er machte sich Sorgen um die Zukunft. Jetzt konnte er die Last der Verantwortung für seine Mutter von seinen jungen Schultern abwerfen.
Tyndall war gegen eine förmliche Verlobung, und wenn sie ihre Freunde und Bekannten sahen, berichteten sie ihnen einfach von ihren Plänen. Doch die Nachricht breitete sich mit Windeseile in der kleinen Stadt aus. Niemand war überrascht. Die meisten hielten die Heirat für ein vernünftiges, praktisches Arrangement. Wenige erkannten, welche tiefen Gefühle und welche Leidenschaft die beiden verbanden. Beiden war das Vorausgegangene lieb und teuer, beide wollten die Vergangenheit nicht geringschätzig abtun. Doch ihre Liebe, ihre körperliche und seelische Verbundenheit, wurde zu ihrem Lebensinhalt. Jeder gab dem Leben des anderen neuen Sinn, neue Erfülltheit. Fast scheuten sie sich, der Welt zu zeigen, wie glücklich sie waren.
Die Pläne für das Haus erhielten ihren letzten Schliff, und es wurde mit dem Bau begonnen. Jeden Tag begannen und beschlossen Olivia und Tyndall damit, Hand in Hand zum Bauplatz zu schlendern, sich vorzustellen, wie einmal die Räume aussehen würden, und sie mit Leben zu erfüllen.
Die Hochzeit wurde auf einen Tag mehrere Monate später festgesetzt. Es sollte eine schlichte Feier in der kleinen Holzkirche geben, danach einen Empfang im Garten des Hotels Continental. Olivia und Tyndall wollten keine große Angelegenheit daraus machen, doch die ganze Stadt nahm Anteil an diesem Ereignis, alle wollten einbezogen werden, helfen oder einfach dabeisein.
»Das wird wahrscheinlich die am buntesten gemischte Gesellschaft, die Broome seit längerem gesehen hat – es lebe das Prinzip der Gleichheit!« lachte Tyndall. »Der Friedensrichter und seine Gattin auf Tuchfühlung mit unseren Mannschaften und allen, mit denen wir geschäftlich zu tun haben!«
Und wirklich reagierten manche Angehörige der weißen Oberschicht Broomes etwas pikiert, als Tyndall und Olivia bekanntgaben, sie würden ihre Freunde aller Rassen und Schichten einladen. Ahmed sollte Trauzeuge des Bräutigams sein, Hamish würde vor seiner Mutter den Mittelgang entlangschreiten und Mabel Metta wäre Brautjungfer. Minnie bekam ihre eigene Einladung und kaufte speziell für den Anlaß neue bunte Hüte für sich und ihre Tochter Mollie.
Am Tag vor der Hochzeit kam mit der Nachmittagsflut der Dampfer aus Fremantle an. Auf ihm wollten Tyndall und Olivia nach dem Empfang eine Hochzeitsreise nach Perth machen.
Als der Dampfer anlegte, setzte das übliche aufgeregte Treiben und Willkommenheißen ein. Doch eine Person unter den Ankömmlingen erregte mehr Interesse als alle anderen: eine attraktive Frau, deren Umgangsformen und Kleidung allerdings von einigen Damen als ›etwas aufdringlich‹ hätten empfunden werden können. Ein weißes Leinenkostüm betonte ihre üppigen Kurven und die schlanken Knöchel, ihre Haare erschienen bei näherer Betrachtung unnatürlich blond, ihre Lippen künstlich rot. Mit Hut und Sonnenschirm in der Hand stand sie am Kai und spähte mit
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