Träum ich?: Roman (German Edition)
alle schon fünf Pfund zugenommen.«
»Ach, Gogo«, kichert Dolly. »Fünf Pfund? Ehrlich?«
»Ich pass kaum noch in meine Hose«, gesteht Gogo lächelnd. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen, das Ganze ins Haus zu schaffen.«
»Ich sollte dir die Polizei auf den Hals hetzen«, ruft Poolson ihr zu.
»Weißt du, alter Mann, wenn du nicht so ein Griesgram, sondern ein Gentleman wärest, hättest du viel mehr Spaß im Leben«, erwidert Dolly und fuchtelt ihm mit dem Zeigefinger vor der Nase herum.
»Wissen Sie, wie viele Jahre ich mich schon mit dieser Frau abplagen muss?«, beschwert er sich bei uns.
»Wissen Sie, wie viele Jahre ich mich schon über seine ständige Meckerei ärgern muss?«, fragt Dolly Gogo.
»Sie war schon immer eine Hexe, vom ersten Tag an«, klagt Poolson sein Leid.
»Und du warst ein alter Griesgram. Wie alt warst du, als wir hier eingezogen sind? Dreißig?«
»Alte Hexe«, schreit Poolson ihr ins Gesicht.
»Alter Griesgram«, schreit Dolly zurück.
Ihre Gesichter sind nur noch Zentimeter voneinander entfernt. Noch ein Schritt, und sie können ihre Nasen aneinan derreiben. Beide fuchteln wild mit den Händen, so als könnten sie jeden Moment zuschlagen oder sich am Kragen packen. Dolly breitet die Arme auseinander, als wollte sie, dass Poolson sich hineinwirft. Dann winkt sie ab und gibt scheinbar aus Furcht vor dem nächsten Schritt nach. Poolsons zorniges Gesicht hingegen wird plötzlich sanft und verletzlich.
»Schon gut«, seufzt Dolly resigniert. »Löschen wir das Feuer und bringen die Hähnchen ins Haus. Lily, du kümmerst dich mit Gogo darum. Ich bin zu alt und müde dazu.«
Plötzlich wirkt Dolly den Tränen nahe und am liebsten würde ich mit ihr weinen. Sie dreht sich um und geht ins Haus. Poolson wirkt verblüfft, so als wäre dies endlich seine Chance, Dolly in den Arm zu nehmen. Gogo und ich sehen ihn an. Er wirkt einsam, obwohl er direkt neben uns steht.
»Und dass mir das ja nicht mehr vorkommt«, ruft er hitzig, geht ein paar Schritte rückwärts und läuft quer über die Straße zu seinem Haus.
»Was war das denn?«, fragt Gogo.
»Das ist eine lange Geschichte«, erwidere ich und blicke prüfend auf die Arbeit, die auf uns wartet. »Hast du Lust, mir zu helfen?«, frage ich ihn.
»Ja, ich hol nur kurz den sogenannten Spezialschlauch, über den du mich mal ausgefragt hast, dann kann ich das Feuer löschen.«
»Sehr witzig. Ich gehe schnell ins Haus und hole ein paar Backbleche für die Hähnchen. Dann kannst du mir helfen, sie vom Spieß zu nehmen.«
»Ist gut«, sagt er und geht den Schlauch holen.
Auf einmal habe ich keine Lust mehr, etwas mit Gogo zu machen. Zum ersten Mal sehe ich aus nächster Nähe Dollys Kummer darüber, wie ihr Leben verlaufen ist und was der Fluch ihr und dem Mann angetan hat, den sie liebt. Am liebsten würde ich jetzt ins Haus rennen und Dolly sagen, dass alles gut wird und sie nicht allein ist. Sie hat mich und Selma und wir sind ein Team. Aber ich weiß, dass ihr das nicht helfen wird. Sie hat ihr ganzes Leben mit der Last dieses dämlichen Fluchs gelebt. Wie oft musste sie vor der Liebe fliehen? Wie viele Männer sind in ihr Leben getreten und wollten sie lieben, und sie musste sie abweisen, obwohl sie ihre Liebe erwidern wollte?
Ich weiß, sie hat versucht, sich das aus dem Kopf zu schlagen. Sie und Selma haben akzeptiert, dass ihnen die Liebe verwehrt bleiben wird. Wahrscheinlich hat ihnen das in einem unbegreiflichen Maß zugesetzt. Sie haben so viel Schmerz von mir ferngehalten. Ich weiß erst ein paar Wochen davon und zerbreche fast daran. Wie muss es sein, ein ganzes Leben darunter zu leiden?
Jetzt sitzen Dolly und Poolson einsam und allein in ihren Häusern und trauern. Wie oft hat Dolly sich aufs Bett geworfen und um die Liebe geweint, die sie niemals erleben kann? Wie viele Gewichte hat Selma gestemmt, wie viele Meilen ist sie gelaufen, um den Schmerz (und die sexuelle Frustration) loszuwerden? Wie viele Mahlzeiten hat Dolly gekocht, nur um nicht mehr an Männer zu denken?
Ich will Ihnen mal was sagen: Der Gedanke daran macht mich ziemlich sauer. Ich bin wütend und traurig. Mir tun Dolly und Selma so leid, dass ich an nichts anderes mehr denken kann.
Als ich ins Haus und zur Küche gehe, frage ich mich, ob das Ganze nicht mehr schadet als nützt. Wozu überhaupt die Mühe? Verschwende ich nicht meine Zeit? Mir schwirrt der Kopf, als ich zwei große Bräter und ein paar Backhandschuhe nehme und sie nach draußen bringe. Gogo
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