Träum ich?: Roman (German Edition)
damals«, protestiert Raul, »du hast es nur nicht gehört. Jedes Mal kommst du mit der alten Geschichte.«
»Sie spielen Bridge?«, fragt Selma und stürzt sich auf das Essen, das Dolly ihr hingestellt hat.
»Ja, Ma’am«, bestätigt er laut. »Das hat uns die Langeweile auf dem Floß von Kuba vertrieben.«
»Deshalb hat er mich nicht gehört. Die Wellen waren so hoch«, erklärt Raul. Maurilio verschränkt die Arme.
»Seit fünf Jahren muss ich mir jetzt diesen Streit anhören«, wirft Gogo ein.
»Sie arbeiten schon fünf Jahre zusammen?«, frage ich.
»Zehn«, erklärt Maurilio. »Gogo ist mein bester Kumpel bei Carverman. Er ist wie ein dritter Bruder für uns.«
»Stimmt«, bestätigt Raul.
»Man muss aufpassen, wenn man mit Brad arbeitet«, fährt Maurilio fort. »Er behandelt uns wie Dreck.«
»Dreck«, wiederholt Raul.
»Nicht wie Gogo. Gogo ist einer von uns.«
»Danke, Jungs«, sagt Gogo und nickt verlegen.
Ich muss lächeln, weil das so typisch für Gogo ist. Zumindest in der Hinsicht ist er unverändert.
»Aber was hat Sie zum Bridgespiel gebracht?«, erkundigt sich Dolly.
»Unsere Mutter war ein Fan von Omar Sharif«, antwortet Raul. »Seine Bridgebücher wurden in unserem Haus gehütet wie ein Schatz. ›Funny Girl‹ und ›Doktor Schiwago‹ haben wir öfter gesehen, als es für einen normalen Jungen in Havanna gut ist.« Raul sieht zu Maurilio, der bei der Erinnerung gequält den Kopf schüttelt.
»Das ist sehr nett von euch, aber mir geht’s heute nicht so gut. Ich glaube, da wäre ich keine gute Mitspielerin«, sagt Selma.
»Woran liegt es denn?«, fragt Gogo in tröstendem Tonfall. »Haben Sie noch Schmerzen?«
»Nein, die haben deutlich nachgelassen. Ich bin stark und kann einiges verkraften. Danke der Nachfrage. Und übrigens, ich wollte Ihnen noch danken, dass Sie sich gestern Abend um mich gekümmert haben. Ich weiß nicht, was wir ohne Sie gemacht hätten.«
»Ach, das war doch nichts, Selma. Machen Sie sich keine Gedanken.«
»Nein, ich schulde Ihnen was. Wenn es etwas gibt, womit ich mich für Ihre Hilfe revanchieren könnte, dann sagen Sie es nur.«
»Sie haben schon genug getan, Selma. Ich hab mich gefreut, Ihnen helfen zu können. Das war doch das Mindeste. Eigentlich sollte ich Ihnen danken.«
»Wofür sollten Sie mir denn danken?«, fragt sie.
»Wofür?«, ruft er aus. »Sehen Sie sich doch mal um!«
Selma wirft einen Blick auf den Tisch und die umliegenden Häuser.
»Obwohl die Wirtschaft auf Talfahrt ist, haben Sie Carverman Downspout einen Riesenauftrag gegeben. Sie haben all diesen Männern Arbeit verschafft. Wir können Ihnen nicht mal ansatzweise genug dafür danken.«
Selma ist sichtlich gerührt. Sie blickt zu Juan und Maurilio.
»Ja«, bestätigt Raul nickend. »Wir hatten schon über einen Monat keine Arbeit.«
»Sí«, sagt Maurilio lächelnd.
»Und Dolly«, fährt Gogo fort, »kocht für uns und sorgt damit für Energie und gute Laune. Ich glaube, wir hatten noch nie einen so angenehmen Auftrag. Ich behaupte sogar, dass Ihre Gastfreundschaft uns mehr bedeutet, als wir es ausdrücken können.«
»Ach, Gogo«, seufzt Dolly. »Ihre Worte sind schon Dank genug.« Sie streichelt ihm über die Wange. »Etwas Schöneres habe ich noch nie gehört.«
Selma nimmt sich eine Serviette und tupft sich die Augenwinkel.
»Du hast hier etwas Wunderbares bewirkt«, sagt Dolly zu Selma.
Selma zögert und blickt auf ihren Teller. Dann sieht sie zu ihrer Mutter auf.
»Du aber auch, Ma.«
»Danke, mein Schatz«, lächelt Dolly.
»Nichts zu danken, Ma«, erwidert Selma ebenfalls lächelnd.
Der Streit ist beendet. In nächster Zeit wird Dolly wohl nicht ins Altersheim müssen. Nicht dass ich je daran geglaubt hätte.
Selma wendet sich zu Gogo. »Ich hab Lily schon gefragt, weiß aber nicht, ob sie ehrlich zu mir war. Gestern Abend habe ich doch nichts Peinliches gesagt oder getan, oder?«, fragt sie. »Habe ich was gemacht, an das ich mich heute nicht mehr erinnern kann? Irgendwas Verrücktes? Das Schmerzmittel war ziemlich stark.«
Ich blicke hinüber zu Gogo, der meinen Blick erwidert und lächelt, so als wüsste er genau, worüber ich mir Sorgen mache.
»Nein, Sie waren toll, Selma. Die perfekte Patientin.«
Jetzt strahle ich. Ich will mich mit einem Blick bei Gogo bedanken, doch als er mich ansieht, schäme ich mich plötzlich wegen meiner Begeisterung und stochere verlegen im Essen herum.
»Aber abgesehen davon«, sagt Selma und wendet sich wieder an
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