Träum weiter, Liebling
Bootsanhänger.
Das kleine, mintgrüne Häuschen am Ende der Orchard Road wirkte ordentlicher als die meisten anderen. Die Veranda war sauber gefegt, das Vorgärtchen gepflegt. Ein Korb weißer Geranien hing von einem Haken neben der Haustür.
Rachel parkte am Straßenrand und lief über den unebenen Pfad zum Haus. Als sie die Veranda betrat, hörte sie, dass drinnen eine Game Show im Fernsehen lief. Der zerbrochene Klingelschalter sah nicht so aus, als würde er funktionieren, deshalb klopfte sie.
Eine verlebte, aber hübsche junge Frau öffnete. Ihr kurzes, blondes Haar wirkte ein wenig strapaziert, als hätte es zu viele Dauerwellen überstanden. Sie war klein und dünn und trug ein kurzes, ärmelloses Top und abgetragene Jeansshorts, die ihr um die schmalen Hüften hingen, so dass ihr Bauchnabel zu sehen war. Sie sah aus wie Anfang Dreißig, doch Rachel vermutete, dass sie jünger war. Der müde, misstrauische Ausdruck auf ihrem Gesicht identifizierte sie als Leidensgenossin; auch ihr hatte das Leben nichts geschenkt.
»Sind Sie Emilys Mutter?«
Als die Frau nickte, stellte sich Rachel vor. »Ich bin Rachel Stone.«
»Oh.« Sie wirkte überrascht. »Meine Mutter sagte, Sie würden vielleicht mal vorbeischauen, aber ich hab‘s ihr nicht geglaubt.«
Rachel graute vor diesem Teil. »Darum geht‘s nicht. Ihre Mutter... Sie ist eine sehr nette Person, aber...«
Das Mädchen lächelte. »Ist schon gut. Sie hat viel mehr Vertrauen in Wunder als ich. Tut mir leid, falls sie Sie belästigt haben sollte, aber sie hat‘s gut gemeint.«
»Das weiß ich. Ich wünschte, ich könnte auf diese Weise helfen, aber das geht wohl nicht.«
»Kommen Sie trotzdem rein. Ich würde mich über ein wenig Gesellschaft freuen.« Sie stieß die Fliegengittertür auf. »Ich bin Lisa.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen.« Rachel betrat ein kleines Wohnzimmer, das mit einem durchgesessenen, beigefarbenen Ecksofa, einem alten Fernsehsessel, einigen Tischchen und einem Fernseher vollgestellt war. Die Möbelstückewaren von guter Qualität, passten aber nicht zusammen, so dass Rachel vermutete, sie stammten von Lisas Mutter.
Auf der linken Seite trennte eine Anrichte das Wohnzimmer von der Küche. Die hölzerne Falttrennwand war zurückgeschoben. Auf der Anrichte stand die übliche Ansammlung von Kram, diverse Behälter, ein Toaster, ein Korb, der von Post überquoll, zwei reife Bananen und eine Kaffeedose voller abgebrochener Buntstifte. Als Rachel sich in der schlichten, ärmlichen Umgebung umsah, fragte sie sich, wann sie sich einmal auch nur so wenig würde leisten können.
Lisa schaltete den Fernseher aus und wies mit einer Handbewegung auf den Sessel. »Möchten Sie vielleicht eine Cola? Oder einen Kaffee? Mom hat gestern ein paar von ihren selbstgebackenen Mohnmuffins vorbeigebracht.«
»Nein, danke.«
Rachel setzte sich in den Sessel, und eine verlegene Stille, die beide nicht so recht zu überbrücken wussten, senkte sich über den Raum. Lisa räumte eine Zeitschrift vom Sofa und setzte sich.
»Wie geht es Ihrer Tochter?«
Lisa zuckte die Schultern. »Sie schläft gerade. Wir dachten, ihre Leukämie wäre zum Stillstand gekommen, doch dann hatte sie einen Rückfall. Die Ärzte haben getan, was sie konnten, doch hab ich sie zu mir nach Hause genommen.«
Ein verzweifelter Ausdruck lag in ihren Augen, und Rachel verstand, was sie nicht sagen wollte. Sie hatte ihre Tochter zum Sterben nach Hause geholt.
Rachel biss sich auf die Unterlippe und griff nach ihrer Handtasche. Von dem Augenblick, in dem es passierte, hatte sie gewusst, was sie tun musste, und nun war die Zeit gekommen. »Ich hab Ihnen was mitgebracht.«
Rachel holte den Scheck über fünfundzwanzigtausend Dollar heraus, den sie von Cal Bonner bekommen hatte, und reichte ihn dem Mädchen. »Der ist für Sie.«
Sie beobachtete den Sturm von Gefühlen, der über Lisas Gesicht glitt, von Verwirrung bis Fassungslosigkeit.
Lisas Hand begann zu zittern. Sie blinzelte, als hätte sie Probleme beim Sehen. »Er - er ist auf Sie ausgestellt. Was ist das?«
»Ich hab ihn dem Fonds für Emily überschrieben. Er ist auf heute in einer Woche datiert, also müssen Sie noch ein wenig warten, bis Sie ihn einlösen können.«
Lisa studierte die Unterschrift auf der Rückseite und starrte Rachel dann mit offenem Mund an. »Aber das ist so viel Geld. Und ich kenne Sie nicht mal. Warum tun Sie das?«
»Weil ich will, dass Sie ihn bekommen.«
»Aber...«
»Bitte. Es würde
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