Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
Vom Netzwerk:
im Busch.
    In jener Nacht lag Jonathan wach in dem Zelt, das er mit Sydney und seinem Onkel teilte. Er durchlebte die Wanderung noch einmal in Gedanken. Die anderen mochten ja ungeduldig auf ihre Abreise warten, er aber hoffte inständig, dass die Reparatur der Endeavour noch lange dauern würde; denn wenn Watpipa ihm eines Tages vertrauen würde, könnte sich eine ganz neue Welt für ihn auftun, und das Abenteuer wäre perfekt.
    Am späten Vormittag des nächsten Tages kam Watpipa wieder. Jonathan hatte ihn erwartet. Sie grinsten sich an, verließen in stillem Einvernehmen den Strand und gingen auf die Bäume zu.
    Diesmal nahmen sie einen anderen Pfad und folgten dem Fluss stromaufwärts. Kurz darauf wanderten sie durch hüfthohes Gras. Ameisenhügel standen auf der dunkelroten Erde: Ihre Höhe reichte von wenigen Zoll bis zu zwei Metern, und ihr Umfang überstieg bei weitem zwei Armlängen.
    Jonathan keuchte in der heißen, feuchten Luft und wandte sich nach dem dichten Wald um, der jetzt hinter ihnen lag, und sah nach den blauen Bergen in weiter Ferne. Das hier war ein seit Urzeiten unberührtes Paradies. Er betrachtete Watpipa, der nach Jagdbeute suchte, und hoffte von ganzem Herzen, dass die Ankunft der Endeavour keine Veränderungen bringen würde, denn Watpipa und seine Leute waren ein echtes Naturvolk. Sie waren nackte Jäger und Sammler und lebten im Einklang mit diesem Land. Sie bauten weder Getreide an, noch züchteten sie Tiere. Wenn die Außenwelt sie in Ruhe ließe, würden sie ewig so weiterleben.
    An jenem Tag fingen sie reichlich Barramundi – das heißt, Watpipa fing sie. Der Eingeborene versuchte, Jonathan beizubringen, bäuchlings im Schatten liegend, die Hände ins Wasser zu halten und zu warten, bis der Fisch in Reichweite war, ehe man ihn mit den hohlen Händen herausschöpfte. Er lachte jedes Mal schallend, wenn Jonathan ins Leere griff. Jonathan lachte mit, denn ihm war bewusst, dass er lächerlich wirkte, trotzdem amüsierte er sich königlich.
    Als Watpipa über einer Feuergrube einen heißen Stein vorbereitet hatte, begann er, einen Fisch auszunehmen. Jonathan langte in die Tasche und reichte ihm sein kleines Taschenmesser. Es war das Einzige in seinem Besitz, was Watpipa als nützlich empfinden könnte. Watpipa sah sich den Gegenstand ausgiebig an, drehte und wendete ihn, fasziniert, wie sich die Sonne auf der Metallklinge fing und auf dem Elfenbeingriff leuchtete. Jonathan zeigte ihm, wie schnell und sauber es den Fisch zerschnitt, und Watpipa griff hastig danach, um es ebenfalls zu versuchen. Als sie fertig waren und der Fisch in einer Decke aus Blättern auf dem heißen Stein garte, steckten sie das Messer zusammen mit dem primitiven Schneidestein weg und saßen in einvernehmlichem Schweigen nebeneinander. Es war der Beginn einer Freundschaft, die sie beide ein Leben lang nicht vergessen würden.
    Im Laufe der Wochen unternahm Jonathan regelmäßig Ausflüge mit Watpipa in den Busch; gleichzeitig waren die Passagiere und Mannschaft der Endeavour als Besucher bei dem Stamm willkommen. Die Einheimischen zeigten ihnen die besten Bäume, die sie für die Reparatur des Schiffes fällen konnten, führten sie zu frischem Wasser und essbaren Beeren und unterhielten sie am Abend mit Gesang und Tanz.
    Die Frauen des Clans wurden von den Männern der Endeavour ferngehalten und eifersüchtig bewacht. Zum Glück hatte kein Seemann versucht, ihnen nahe zu kommen: Vielleicht waren sie eingeschüchtert durch die Stammeszeichen und die spitzen Speere ihrer Männer. Sie waren nicht auf Tahiti – sexuelle Gunst wurde nicht gewährt, ihr Überleben hing von guten Beziehungen ab.
    Jonathan war von Anabarru und ihren Kindern hingerissen und enttäuscht über seine eigene Unfähigkeit, sich richtig zu unterhalten. Ihre Sprache war zungenbrecherisch, und er hatte bisher nur ein paar Wörter gelernt. Die Frauen waren den Männern anscheinend gleichgestellt, außer wenn es um die Jagd mit dem Bumerang oder darum ging, Entscheidungen zu treffen. Offenbar hatten sie einen eigenen Verhaltenskodex, rätselhafte Tabus und sehr starke Familienbande. Es gab eine klare Hierarchie, nach der sich die Jungen um die Älteren kümmerten, die wiederum auf die Kinder aufpassten, wenn ihre Mütter auf Nahrungssuche oder auf Fischfang gingen. Der ganze Stamm besaß umfassende Kenntnisse und ein tiefes Verständnis für das Land, in dem sie lebten, und obwohl es ein primitives Leben war, hatten sie alles, was sie brauchten.

Weitere Kostenlose Bücher