Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum
Rucksack und breite es mehr oder weniger stolz vor mir aus. Ein Stück Wurst, ein halbes bereits 2 Tage altes Ciabatta Brot, 3 Kekse, 4 kleine Schokocroissants und eine Tütensuppe, für die ich keine Kochmöglichkeit besitze. Das ist doch schon mal was, — optimistisch betrachtet. Werfe ich das alles zusammen, werde ich zumindest psychisch satt und eine Nacht kann mein Bauch sonst auch mal ein wenig hungern. Im Notfall weiche ich einfach die Tütensuppe in kaltem Wasser auf und esse sie so. Ob dieser Gedanke jedoch so eine gute ist, möchte ich lieber nicht erfahren. Dennoch entschließe ich mich, nicht bis 17 Uhr hier rum zu sitzen und gehe weiter. Könnte auch damit zusammenhängen, dass mein Freund Mike ebenfalls hier in diesem Dorf eingetroffen ist. Also schnell wieder den Rucksack aufschnallen und weiter laufen. Als ich mich grade wieder auf den Weg machen möchte, bekomme ich mit, wie Mike eine hier sesshafte, etwa 55 jährige Spanierin fragt, wo es denn hier eine Bar oder ein Restaurant gibt. Als die Dame sich umdreht und den unförmigen Mike mit seinem Kopftuch und dem von Sonnenlotion weiß eingecremten Gesicht erblickt, dreht sie sich schnell zur Tür um und flüchtet in ihr Haus, ohne zu vergessen, die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zuzuschlagen. Das war mal eine deutliche Aussage und ich folge ihrem Beispiel und ergreife ebenfalls schleunigst die Flucht. Irgendwie tut er mir ja leid und wirklich stolz bin ich auf mein Verhalten auch nicht, aber er wirkt nun mal einfach unsympathisch.
Am Dorfausgang passiere ich eine weitere Herberge, die wieder mal Erinnerungen in mir weckt. Hier habe ich 2007 genächtigt und eine sehr nette Begegnung mit dem Herbergsvater gehabt. Leider steht dieses Jahr ein anderer Hospitalero vor der Tür, dennoch begrüße ich ihn herzlichst und erzähle ihm meine Geschichte. Die Herberge war sehr spartanisch eingerichtet und erbat lediglich eine Spende. Geweckt wurde man mit sakralen Gesängen und bekam dann ein einfaches Frühstück, bestehend aus Keksen, einem Apfel und Milchkaffe aus einem riesigen Topf, den der Herbergsvater ausschenkte. Der Kaffee, den ich bekam, schmeckte mir so gut, dass ich den Hospitalero dafür dankte und ihm sagte, sein Milchkaffee sei wirklich ausgezeichnet. Seine bescheidene Antwort war: „Everything taste good on the camino.“ Im Verlauf meiner Reise musste ich dann immer wieder an diesen Satz denken und feststellen, wie verdammt recht der alte Mann hatte. Auch dieses Jahr mache ich die Erfahrung immer und immer wieder. Eventuell ja auch heute Abend, wenn ich meine Tütensuppe in kaltem Wasser einweiche...
Vor mir liegt nun der Pass von Mostelares. Es geht auf fast 1000m hoch und dies auf nur etwa 2 km Wegstrecke. Die Steigung ist entsprechend heftig und so mache ich mich dran, den Gipfel zu erklimmen. Als ich endlich oben ankomme, ist meine Wasserflasche leer, ich hab ‘nen riesen Durst und einen Bärenhunger. Mein zwei Tage altes Ciabatta Brot und die halbe Wurst müssen nun bereits dran glauben. Während ich es mir schmecken lasse, gesellen sich zwei deutsche Jungs namens Lukas und Oliver zu mir. Die beiden sind grade erst seit ein paar Tagen unterwegs, glaube, es war deren dritter Tag und noch ziemlich unbeschadet davon gekommen. Da sie ohne Pilgerstab unterwegs sind, kann ich nicht anders, als sie belehrend zu warnen und ihnen dramatisch nahe zu legen, sich schleunigst einen zuzulegen, andernfalls werden sie furchtbar leiden. Als Dank für meinen Ratschlag bekomme ich von Oliver einen Müsliriegel geschenkt mit dem Kommentar „schon mal 20g weniger zu tragen“. Recht hat er und ich nehme die milde Gabe dankend an, da ich wie bereits erwähnt im Begriff bin zu verhungern. Die beiden ziehen weiter und ich folge wenige Minuten später. Unterdessen ist es 17:15 Uhr und ich habe immer noch kein Wasser. Meine Kehle ist knochentrocken, es gibt keinen Schatten und selbst zur späten Mittagszeit kann man nicht behaupten, dass die Sonne und die Hitze spürbar nachlassen. Es geht einen langen Staubweg entlang, der mindestens genau so trocken ist wie mein Körper. Nun zahlt es sich zum ersten Mal aus, dass ich den Weg schon einmal gelaufen bin. Ich habe sofort eines dieser Déjà-vu-Erlebnisse. Am Ende dieses staubtrockenen Weges wird mich eine Quelle erwarten, die im Schatten der Bäume aus einer kleinen Mauer entspringt. Momentan befinde ich mich zwischen ausgetrockneten Wiesen und Feldern und von Bäumen und Schatten ist nichts zu sehen.
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