Träume wie Gold: Roman (German Edition)
dennoch erinnerte ihn die ganze Atmosphäre schmerzlich an den Jungen, der er einst gewesen war.
Jed erhob sich aus dem grässlich unbequemen Louis XI.-Sesselchen, um sich im Salon seiner Großmutter ein wenig die Füße zu vertreten.
In seinem Abendanzug verkörperte er perfekt die Rolle des Bester-Skimmerhorn-Erben. Nur seine Augen, die jetzt in das flackernde Kaminfeuer starrten, zeigten seinen inneren Kampf, in dieser Welt den richtigen Platz zu finden.
Gegen einen Besuch bei seiner Großmutter hätte er grundsätzlich nichts einzuwenden gehabt. Honoria war die einzige gewesen, der er in seiner Jugend tiefer gehende Gefühle entgegengebracht hatte. Und wie es das Schicksal wollte, war sie jetzt seine einzige noch lebende Verwandte. Doch ihre unbeugsame Beharrlichkeit wurmte ihn.
Er hatte es abgelehnt, Honoria zum Winterball zu begleiten, zweimal sogar – offen und unmissverständlich. Sie
jedoch hatte seine abschlägige Antwort nicht gelten lassen und ihn unter Anwendung aller Tricks doch noch dazu überredet, seinen Frack aus dem Schrank zu holen.
»Meine Hochachtung, Jedidiah, pünktlich wie immer.«
Honoria stand in der Tür zum Salon. Sie hatte die für die Einwanderer aus Neuengland typischen ausgeprägten Wangenknochen und leuchtend blaue Augen, denen nur wenig entging. Ihr schneeweißes Haar umrahmte in weichen Wellen ihr schmales Gesicht. Ihre Lippen, immer noch voll und erstaunlich sinnlich, lächelten. Selbstgefällig. Honoria wusste, wann sie gewonnen hatte.
»Großmutter.« Weil sie es erwartete, und weil er es gerne tat, ging er auf Honoria zu, nahm ihre Hand und hob sie an seine Lippen. »Du siehst wunderschön aus.«
Das war kein höfliches Kompliment, auch das wusste sie. Ihr königsblaues Abendkleid von Adolpho brachte ihre blauen Augen und ihre stattliche Figur vorteilhaft zur Geltung. An ihrem Dekolleté, den Handgelenken und den Ohren glitzerten Brillanten. Sie liebte ihren Schmuck, weil sie ihn sich erarbeitet hatte, und weil sie wusste, dass er Aufsehen erregen würde.
»Schenk mir einen Drink ein«, sagte sie. Den Bostoner Akzent ihrer Jugend hatte sie ganz verloren. »Es gibt dir Zeit, mir zu berichten, was du mit deiner Freizeit anfängst.«
»Das ist in weniger als einer Minute erzählt«, entgegnete er, ging aber dennoch gehorsam zum Likörschrank.
Dabei erinnerte er sich, wie sie ihn vor zwanzig Jahren vor eben diesem Schrank erwischt hatte, als er sich heimlich einen Schluck genehmigt hatte. Wie sie darauf bestanden hatte, dass er die Whiskyflasche an die Lippen setzte – und trank und trank, während ihr stahlharter Blick ihn fixierte. Und dann, als ihm hundeelend war, hatte sie ihm den Kopf gehalten.
›Wenn du alt genug bist‹, hatte sie daraufhin gesagt ›und trinken kannst wie ein Mann, Jedidiah, dann werden wir beide uns einen anständigen Cocktail mixen. Bis dahin lass die Finger von Dingen, die du nicht verträgst.‹
»Sherry, Großmutter?«, erkundigte er sich und grinste.
»Soll ich mich etwa mit diesem Altweibergetränk begnügen, wenn ich einen guten Whisky im Schrank stehen habe, hm?« Ihr Seidenkleid raschelte, als sie sich in einem Sessel vor dem Kamin niederließ. »Wann bekomme ich denn einmal diese Bruchbude zu sehen, in die du eingezogen bist?«
»Wann immer du willst, aber eine Bruchbude wirst du nicht vorfinden.«
Mit einem verächtlichen Schnauben nippte sie an dem schweren Whiskybecher aus Kristall. »Ein zugiges Apartment über einem kleinen Trödelladen.«
»Soweit ich feststellen konnte, zieht es bei mir nicht.«
»Du hast ein wunderschönes, geräumiges Haus besessen.«
»Ich habe ein Zwanzig-Zimmer-Mausoleum besessen, das ich hasste.« Er wusste, dass das kommen würde. Schließlich hatte er von ihr seine Hartnäckigkeit geerbt, die ihn zu einem erfolgreichen Cop gemacht hatte. Bevor er sich wieder in den unbequemen Sessel setzte, lehnte er sich lieber an den Kaminsims. »Ich habe dieses Haus immer gehasst.«
»Es besteht nur aus Holz und Ziegeln«, wischte sie seine Erklärung beiseite. »Es ist eine Energieverschwendung, leblose Dinge zu hassen. Außerdem wärest du mir in meinem Haus sehr willkommen gewesen. Wie eh und je.«
»Ich weiß.« Das hatten sie alles schon zigmal durchgekaut. Um ihre Sorgenfalten zu glätten, meinte er mit einem Grinsen: »Ich wollte nur dein Liebesleben durch meine Anwesenheit nicht stören.«
»Das wäre dir vom Ostflügel aus auch schwer gefallen«, konterte sie schlagfertig. »Wie auch immer,
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