Träume(h)r (German Edition)
von dieser Küste aus starten. Viel zu holen ist hier nicht. Der Tourismus hat die Einheimischen auf seine Seite geschlagen und man will es ihnen nicht verübeln. Es gibt nicht viele, die noch an Traditionen festhalten, wenn es eine einfache und vor allem sichere Einnahmequelle gibt, die sich Urlauber nennt und den Familien täglich das Essen auf den Tisch bringt.«
Als die Sonne aufging, befanden sie sich wenige hunderte Meter von der Küste. Marc sah von weitem, dass einige Fischer bereits vor ihnen angekommen waren. Einer davon setzte sich, nachdem er Josés Boot bemerkt hatte, in den Traktor und zog es kurze Zeit später mithilfe der Technik, die sie an ihrem ersten Morgen in Salema beobachteten, aus dem Wasser heraus.
Die Männer schauten verwundert, als sie erst den riesigen José und nachfolgend den nicht weniger großen Ole aus dem Inneren des Bootes klettern sahen. Einer von ihnen rief auf Portugiesisch etwas zu dem Fischer herüber, der nur lächelnd abwinkte.
Als Marc seine Füße in den Sand setzte, ertönte lautes Gelächter, das sogar die Möwen im Wasser aufschreckte. Er hatte es sich nicht nehmen lassen in seinem sorgfältig ausgewählten Outfit die Füße in den Sand zu setzen. Bevor er das Boot verließ, hatte er sich der geliehenen Kleidung entledigt und stolzierte als Bilderbuch-Fischer auf seine Begleiter zu.
José gebot ihnen, ohne Marcs Kleidung zu kommentieren, die Fischernetze zu entleeren und die Fische in die dafür vorgesehenen Behälter zu werfen. Daraufhin fuhren sie zu einem Markt in Sagres, wo sie den frischen Fisch an den meistbietenden Markthändler versteigerten.
Es war kein Vermögen, das die Seeleute verdienten, da man noch vom schmächtigen Gewinn den Tank und sonstige Unkosten abziehen musste, aber es reichte scheinbar zum Leben und um glücklich zu sein, wobei Marc sich beim Glücklichsein auch nicht wirklich sicher sein konnte.
Ein Monat war vergangen, worin das fünf Meter lange Fischerboot für die beiden Freunde zu ihrem zweiten Zuhause geworden war. Jeden Morgen standen sie auf und folgten demselben Prozedere, wobei sie von José empfangen wurden, der immer weniger Anweisungen an seine Praktikanten geben musste und immer öfter auf seinem Thron ruhen blieb. Er hatte sich als angenehmer Mentor herausgestellt.
»Hey Volkswagen, willst du eigentlich genau wissen, weshalb ich Fischer geworden bin?«, fragte er eines Tages Marc, als dieser gerade das Netz aus dem Wasser zog. Er nickte.
»Ganz einfach, weil mein Vater ein Fischer war und er es mir beigebracht hat, als ich noch ein Kind war. Das ist doch bei dir und deinem Vater so ähnlich gewesen oder nicht?«
Erneut nickte er. Zwar hatte ihn sein Vater nicht in jungen Jahren mit zur Arbeit geschleppt und ihm strategische Planung beigebracht, aber trotzdem hatte er sich zweifelsohne an seinem Erzeuger orientiert.
»Und das war auch der Grund, weshalb du dich letzten Endes dafür entschieden hast Wirtschaft zu studieren? Immerhin gibt es doch so viele Studiengänge!«, hakte José nach. Er hievte den Rest des Netzes in das Boot hinein und richtete sich auf.
»Das ist das Problem mit unserer Generation. Wenn du nur eine oder zwei Türen hast, durch die du gehen kannst, dann ist die Wahl nicht schwer. Ich hatte aber nicht nur zwei Türen, sondern unendlich viele zur Auswahl. Öffnest du eine davon und gehst hindurch, dann weisst du im Endeffekt nicht, ob es die Richtige war, aber zurückgehen ist schwieriger. Deshalb ist unsere Generation planlos. Wir wandern ein Leben lang umher auf der Suche nach uns selbst. Ohne wirkliche Probleme wie Hunger, Armut oder andere Nöte zu haben, erschaffen wir uns selbst welche. Dem wollte ich aus dem Weg gehen. Aus diesem Grund habe ich den Beruf meines Vaters gewählt und auch etwas in diese Richtung studiert. Wohin hat es mich gebracht? Jetzt stehe ich auf einem Fischerboot in Portugal und habe letzten Endes doch eine andere Tür geöffnet, anstatt dem sicheren Pfad zu folgen.«
José zündete sich eine Zigarette an, wobei er nachdenklich zu ihm herüberschaute.
»Und meinst du, hiermit wirst du glücklich?«
Marc lächelte zuversichtlich und zuckte mit den Achseln.
»Ich meine wirklich glücklich. Dabei sollte man sich doch sicher sein, wenn man durch halb Europa gereist ist. Ich bin irgendwann durch Zufall über ein Buch von einem Typen namens Maslow gestolpert, als ich am Strand entlangspaziert bin. Vermutlich hatte es ein Urlauber damals liegen gelassen. Jedenfalls glaube ich
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