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Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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mich auf eine kleine Bank und sah eine Zeitlang in den Himmel. Wie ungefährlich, wie harmlos sahen doch die Sterne aus, die da blinkten und in den unsichtbaren Strömungen der Atmosphäre zitterten, die die Erde vor ihnen schützte. >Sternchen, dachte ich von ihnen, zum ersten Mal seit so vielen Jahren. Dort oben würde sich niemand trauen, sie so zu nennen, wir würden ihn für einen Verrückten halten. Sternchen, tatsächlich, ja, gefräßige Sternchen. Über den schon ganz dunklen Bäumen stieg in der Ferne ein Feuerwerk auf, und ganz plötzlich sah ich mit einer erstaunlichen Realität Arkturus. Die Feuerberge, über die ich, vor Kälte mit den Zähnen klappernd, geflogen war, und der Reif der Kühlapparatur schmolz und floß, ganz rot von Rost, über meinen Overall. Ich entnahm mit Hilfe eines Koronasauggeräts kleine Proben und hörte auf das Pfeifen der Kompressoren, ob sie auch nichts an Drehungen verlören. Eine Havarie von nur einer Sekunde, ein Verschlucken, würde alle Panzer, Apparate und mich selbst in ein unsichtbares Dampfwölkchen verwandeln. Ein auf eine glühende Platte fallender Wassertropfen schwindet nicht so schnell wie ein Mensch in solch einem Fall.
    Der Kastanienbaum war schon fast verblüht. Ich mochte den Duft seiner Blüten nicht, er erinnerte mich an Dinge, die längst vergangen waren. Über den Hecken erglühte immer noch der Schein des Feuerwerks, man hörte Lärm, den Zusammenklang verschiedener Orchester, alle paar Sekunden kam, vom Wind getragen, ein chorartiger Schrei der Teilnehmer an irgendeiner Vorstellung, vielleicht der Passagiere einer Berg- und Talbahn. Meine Ecke aber blieb fast leer.
    Auf einmal kam aus einer Seitenallee eine hohe, dunkelgekleidete Gestalt. Das Grün war bereits grau geworden, und das Gesicht des Menschen sah ich erst, als er, äußerst langsam mit kleinen Schritten gehend, die Füße kaum vom Erdboden hebend, einige Schritte weiter stehengeblieben war. Seine Hände steckten in trichterförmigen Verdichtungen, die in zwei dünnen Stäbchen ausliefen, und in kleinen schwarzen Birnen endeten. Er stützte sich darauf, nicht wie ein Paralytiker, mehr wie ein äußerst Entkräfteter. Er sah weder mich, noch sonst etwas - das Lachen, das
    chorartige Schreien, die Musik und das Feuerwerk schienen für ihn nicht zu existieren. Er stand so vielleicht eine Minute lang, atmete mit Anstrengung, und sein Gesicht schien mir von Mal zu Mal beim wiederkehrenden Aufleuchten des Feuerwerks so alt, daß die Jahre es jeglichen Ausdrucks beraubten, zuletzt war es nur noch Haut auf Knochen. Als er wieder vorwärts wollte und seine seltsamen Stützen oder Prothesen nach vorne schob, glitt eine davon aus, ich sprang von meiner Bank hoch, um ihn festzuhalten, doch erlangte er sein Gleichgewicht schon wieder. Er war einen Kopf kleiner als ich, für einen modernen Menschen recht groß; er sah mich leuchtenden Blickes an.
    »Entschuldigung«, murmelte ich. Ich wollte weggehen, blieb aber; in seinen Augen war etwas wie ein Befehl.
    »Ich bin Ihnen schon irgendwo begegnet, aber wo?« sagte er mit einer unerwartet starken Stimme.
    »Das bezweifle ich«, ich schüttelte den Kopf, »ich kam erst gestern von einer.., recht langen Reise zurück.« »Von wo?«
    »Von Fomalhaut.«
    Seine Augen leuchteten auf. »Arder! Tom Arder!!«
    »Nein«, sagte ich. »Aber ich war mit ihm zusammen.«
    »Und er?«
    »Ging zugrunde.«
    Er atmete schwer. »Helfen Sie mir.., mich.., zu setzen.«
    Ich faßte ihn an den Schultern. Unter dem schwarzen, glitschigen Stoff gab es nichts als Knochen. Langsam ließ ich ihn auf die Bank gleiten und blieb daneben stehen. »Setzen… Sie sich.«
    Ich setzte mich. Er keuchte immer noch mit halb geschlossenen Augen.
    »Es ist nichts.., die Aufregung«, flüsterte er. Nach einer Weile sah er auf. »Ich heiße Roemer«, sagte er ganz einfach. Mir blieb der Atem weg. »Wie… Sie sind es… wirklich?… Wie alt…«
    »Einhundertvierunddreißig«, sagte er trocken. »Damals war ich.., sieben.«
    Ich konnte mich an ihn erinnern. Er kam zu uns mit seinem Vater, einem genialen Mathematiker, dem Assistenten von Geoni-des, Schöpfer unserer Flugtheorie. Arder zeigte damals dem Jungen die große Testhalle, die Zentrifugen - und so blieb er mir im
    Gedächtnis; ein springlebendiger Siebenjähriger mit dunklen Augen- wie die seines Vaters; Arder hob ihn damals hoch, damit der Bub ganz nah das Innere der Gravitationskammer betrachten konnte, in der ich saß.
    Wir schwiegen beide.

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