Transzendenz
zusammenrollen und irgendwohin gehen, wo er ein wenig stabiler war.
Alles war von diesem grauschwarzen Schlamm gesprenkelt. Er haftete in dicken Klumpen an den Wänden und Dächern, als wäre er mit einem riesigen Schlauch verspritzt worden. Selbst auf dem kahl getrampelten Boden zwischen den Gebäuden gab es Flecken und Krater, und das Grau des Schlamms vermischte sich mit dem dunklen Braun der Erde.
Binnen kurzem hatte ich die Ortschaft durchquert und verließ sie auf der anderen Seite. Vor mir lag das Meer. Vielleicht war dies ein Fischerdorf, aber ich sah weder Boote noch einen Hafen. Ein paar hundert Meter entfernt erhob sich die Küstenlinie zu niedrigen, sandigen Klippen, die bruchlos ins Meer überzugehen schienen. Ich sah keine Spur von dem Hubschrauber; vielleicht war er an der Küste entlang weitergeflogen. Das Meer selbst war steingrau und sah bitterkalt aus. Und es schien gefährlich nahe zu sein; ich sah Flutmarken an Türschwellen und überall an den Fundamenten der Häuser. Wie in Florida fraß es sich auch hier in die Uferlinie hinein.
Eines der Gebäude gehörte offenkundig nicht den Einheimischen. Es war ein tarngrünes Zelt mit einem leuchtend roten Kreuz auf der Leinwand. Vertraut von allzu vielen Nachrichtenmeldungen aus Katastrophenzonen, bot es einen Unheil verkündenden Anblick.
Jemand schrie so laut, dass mir die Ohren wehtaten, bevor Filter das Geräusch dämpften.
Vor mir stand ein kleines, dick eingepacktes Mädchen, das in einem viel zu großen Parka fast verschwand. Ihr Gesicht war eine runde, rote, von Tränen gestreifte Kugel, und sie starrte auf meine Füße. Eine Frau kam herbei, hob sie auf und funkelte mich böse an.
Und als ich der Frau nachschaute, bemerkte ich eine Reihe von Leichensäcken auf dem Boden, die alle ordentlich verschlossen waren.
»Hey, Sie da!« Es war eine lebhafte Aufforderung in einem amerikanischen Akzent, vielleicht von der Westküste.
Die Frau, die auf mich zukam, trug einen Raumanzug – jedenfalls sah der knallblaue Overall mit den Logos der Hilfseinrichtungen der Vereinten Nationen genauso aus. Sie hatte die offene Maskenkapuze jedoch vom Kopf nach hinten gestreift. Sie war schwarz, vielleicht Ende zwanzig, mit einem strengen Ausdruck in dem kleinen Gesicht. »Mit so viel unbedeckter Haut sollten Sie hier draußen nicht rumlaufen«, blaffte sie mich an. »Haben Sie noch nie was von Zecken und der von ihnen übertragenen Enzephalitis gehört? Und wie kommen Sie überhaupt hierher?«
»Ich bin nicht wirklich hier«, sagte ich und streckte die Hand aus, als wollte ich sie ihr geben. Sie reagierte automatisch und reichte mir ihre behandschuhte Hand; meine Hand ging durch ihre hindurch und löste sich dabei kurz in eine Wolke würfelförmiger Pixel auf, und eine Warnung vor einer Protokollverletzung klingelte in meinem Ohr.
»Ach so, eine VR«, sagte sie, und ihre Eindringlichkeit verwandelte sich im Nu in Verachtung. »Was sind Sie, irgend so ein Flaschenhals-Freak? Ein Perverser, der die Toten sehen will?«
Ihre Worte ließen mich frösteln. »Ich bin kein Katastrophentourist…«
»Dann nehmen Sie ein wenig Rücksicht.« Sie zeigte auf meine Füße.
Ich schaute nach unten und erkannte, was das kleine Mädchen so aufgeregt hatte. Ich schwebte ein paar Zentimeter über der Erde; kein Wunder, dass die Kleine einen Schrecken bekommen hatte. Hastig gab ich ein paar Systembefehle und sank zu Boden.
Die Soldatin wandte sich zum Gehen. Offensichtlich hatte sie nicht vor, ihre Zeit mit Leuten wie mir zu vergeuden.
Ich lief ihr nach. Ich wünschte, ich hätte sie am Arm packen können, um sie auf mich aufmerksam zu machen. »Bitte«, sagte ich. »Ich suche meinen Sohn.«
Sie verlangsamte ihre Schritte und sah mich erneut an. Ihr Name war Sonia Dameyer, wie ich einem Schildchen an ihrer Brust entnahm, Major Sonia Dameyer von der US Army. Sie war ein vertrauter Anblick, eine mit einem Raumanzug bekleidete amerikanische Soldatin in einem gottverlassenen Winkel des Planeten, heutzutage wie die meisten ihrer Art mit Rettungseinsätzen und Friedenssicherung statt mit Kriegführung beschäftigt. »War Ihr Sohn während des Rülpsers persönlich hier?«
»Während des was?… Ja, er war hier. Ich habe gehört, dass er am Leben, aber vielleicht verletzt ist. Mehr weiß ich nicht. Sein Name ist Tom Poole.«
Ihre Augen wurden groß. »Tom. Der Held.«
Sie sagte es mit sanfter Stimme, aber es war nicht das, was man über sein vermisstes Kind hören möchte.
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