Trau niemals einem Callboy! (German Edition)
sollte ich mir aus seinem Arbeitszimmer ein anderes Buch holen. In dem riesigen Regal, das eine ganze Seite des Raums einnimmt, stehen mehrere Hundert Bände. Einer davon ist vielleicht in der Lage, mich für eine Weile abzulenken. Solange es kein blutiger Thriller ist. Zögerlich lenke ich meine Schritte zur Treppe. So ganz wohl ist mir nicht, ohne sein Wissen nach einem Buch zu stöbern. Andererseits zieht mich eine unbestimmte Neugierde dorthin. Wozu braucht ein Callboy ein Arbeitszimmer? Vor allem eines, das kein Schlafzimmer ist, sondern mit einem teuren Computer und allen möglichen technischen Geräten ausgestattet ist. Und der Ferrari und die tolle Wohnung? All das kostet eine Menge. Entweder verdient man als Callboy besser, als ich dachte, oder er hat noch eine andere Einnahmequelle.
Abrupt bleibe ich stehen. Wenn diese andere Einnahmequelle illegal ist, möchte ich nichts davon wissen. Ich habe schon genug Ärger am Hals. Trotzdem bewegen sich meine Füße weiter, gehen die Treppe hinauf. Das ist keine gute Idee …
Für einen Menschen, der so ordentlich zu sein scheint, herrscht in Christians Arbeitszimmer ein erstaunliches Chaos. Der große Schreibtisch, der den Raum dominiert, muss neben dem Flachbildschirm etlichen Papierstapeln Platz bieten. Auf der Arbeitsplatte ist gerade so viel Platz, dass man noch schreiben kann, wenn man am Computer sitzt. Alles andere wird von Papieren, Stiften, geöffneten Briefumschlägen und Zeitschriften belagert. Ein Blatt, das von mathematischen Formeln übersät ist, liegt direkt vor mir. Ich werfe einen Blick darauf, kann in den Formeln aber keinen Sinn erkennen. Was kein Wunder ist, wenn man bedenkt, welche Note ich in Mathe hatte.
Eine Zeitschrift, die auf einem Stapel balanciert, trägt den Titel The Economist . Eigentlich hatte ich bei seinem Berufszweig eher an den Hustler oder Playboy gedacht. Und dann das Bücherregal! Seit meiner Studienzeit habe ich nicht mehr eine so eindrucksvolle Sammlung langweiliger Titel gesehen. Fast fühle ich mich, als sei ich in der Bibliothek meines Vaters gelandet. Der hat auch ein Faible für langweilige Fachliteratur. Eines ist klar: Einen amüsanten Unterhaltungsroman werde ich hier nicht finden.
Mit einem Achselzucken drehe ich mich um. Dann eben nicht. Christian scheint ein Doppelleben zu führen, aber nicht als Callboy/Drogendealer, wie ich anfangs vermutete, sondern eher als Callboy/Finanzmathematiker. Seltsame Mischung.
Verflixt . Einer der Papierstapel auf seinem Schreibtisch macht sich selbständig, als ich daran vorbeigehe. Es ist einer dieser Papierberge, die ohnehin schon gefährlich instabil wirkten. Mit einem Seufzer mache ich mich daran, alles einzusammeln und auf den Tisch zurückzulegen. Mein Blick bleibt an einem Briefumschlag hängen. Nichts Besonderes. Nur eine Rechnung von den Stadtwerken. Das Seltsame daran ist, dass der Brief nicht an Christian, sondern an Frank Maurer adressiert ist. Alle anderen Briefe sind an den gleichen Empfänger gerichtet. Es scheint, als sei Christian nicht sein richtiger Name. Frank Maurer? Ich starre auf den Briefumschlag und versuche mich zu erinnern, wo ich diesen Namen schon einmal gehört habe.
„Willst du die Briefe nicht gleich lesen, wenn sie dich so interessieren?“
„Gott hast du mich erschreckt.“
Christian lehnt mit verschränkten Armen in der Tür zu seinem Arbeitszimmer. Sein Gesicht eine starre Maske. Trotzdem sieht er wütend aus.
„Es ist nicht … ich wollte nur …“
Mit einer Handbewegung wischt er meine Worte beiseite. „Vergiss es. Du kannst dir ja vielleicht denken, dass ich in meinem Beruf nicht unter meinem richtigen Namen arbeite. Eigentlich wollte ich dir nur mitteilen, dass ich heute noch weg muss. Bin wahrscheinlich erst morgen früh zurück.“ Er dreht sich um und geht. Zu einer anderen Frau. Ich beneide sie. Ich Idiotin . Man braucht sich nur den Mann anzusehen, den ich heiraten wollte, um zu wissen, dass ich immer auf die Falschen hereinfalle.
„Warte“, rufe ich hinter ihm her. „Wohin gehst du?“ Die Frage rutscht mir unüberlegt über die Lippen, und ich werde rot. Ich höre mich an wie seine Frau. Am liebsten würde ich die Worte wieder zurücknehmen. Mit hochgezogenen Augenbrauen dreht er sich zu mir um. Ich kann ihm ansehen, wie er die Situation auskostet, mein Unbehagen wegen der unüberlegten Frage ebenso wie der Ausrutscher mit seiner Post.
„Du brauchst dich gar nicht so anzustellen. Ich wollte nur nach einem
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