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Trauerspiel

Trauerspiel

Titel: Trauerspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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verteidigen, hast du schon verloren und der Schreiber sein Ziel erreicht. Das ist ja das Fiese an diesem Gerücht – man sieht es einem Menschen nicht an, wenn er auf Kinder steht. Sexuell, meine ich. Deine beste Verteidigung ist deine Gelassenheit.»
    «Na danke», schnaubte Susanne, «wo es auch so einfach ist, in dem ganzen Strudel gelassen zu bleiben.»
    «Hat irgendwer gesagt, es wäre einfach?», meinte Tanja geradeheraus. «An deiner Stelle würde ich beten.»
    «Beten?», fragte Susanne verblüfft.
    «Ja, beten. Erstens, weil mir wirklich nichts besseres einfällt, und zweitens, weil man mir im Konfirmandenunterricht beigebracht hat, dass Beten hilft. Oder gilt das heute nicht mehr?»
    Susanne nickte. «Doch, das gilt auch heute noch.»
    * * *
    Dekan Dr. Weimann hatte die Hände unter dem Kinn zusammengelegt und dachte nach.
    «In der Tat, keine einfache Situation. Besonders für Sie nicht, Frau Hertz, ich weiß ja, dass Sie sich gerade erst von dem Schock erholt hatten.» Seine klugen Augen schauten Susanne lange an. Susanne bemerkte den Fleck auf seinem Anzug, Senf? Irritiert blickte sie auf die Kaiserstraße. Wie konnte sie über Senfflecken nachdenken, während es um ihre berufliche Situation und einen Mordverdacht ging. Weimann interpretierte ihren Gesichtsausdruck offensichtlich falsch.
    «Sie brauchen sich meinetwegen überhaupt keine Gedanken zu machen, Frau Hertz. Ich habe keinerlei Zweifel an Ihrer Aufrichtigkeit und kann Sie mir weder als Mörderin dieser Schülerin noch als Schuldige an diesem unglückseligen Todesfall auf Malta vorstellen. Ich schlage vor, Sie arbeiten weiter wie bisher. Lassen Sie sich durch diese anonymen Briefe nicht irritieren, Sie haben die schwierige Aufgabe, dieses Mädchen zu beerdigen, da soll Sie nichts ablenken. Ich zähle auch morgen auf ihr Kommen. Schließlich bin ich selbst gespannt, was die Landeskirche sich da für uns überlegt hat. Sie werden doch da sein, oder?»
    Susanne bestätigte, dass Sie kommen würde.
    «Und, passen Sie auf sich auf», meinte Weimann, als er Susanne die Tür seines Büros öffnete.
    Susanne merkte verunsichert, dass ihr Vorgesetzter besorgt wirkte.
    * * *
    Susanne nagte an ihrem lila Kugelschreiber, den sie als Willkommensgabe, zusammen mit einer lila Tasche, von der Öffentlichkeitsarbeit ihrer Landeskirche geschenkt bekommen hatte. Eigentlich hatte sie in dieser Woche gar keine Lust, an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Aber wenn ihre Kirche sie schon zu den Auserwählten zählte, die sich zu diesem wichtigen Thema Gedanken machen sollten, dann war es nur ihre Pflicht, sich trotz ihres Kummers um Julia einzubringen. Eine Schweizer Unternehmensberatung war engagiert worden, damit sich eine kleine Gruppe von Pfarrerinnen und Pfarrern, Kirchenvorstehern und engagierten Laien qualifiziert angeleitet über das Thema: «Kirche und Ökologie: Perspektiven für das zweiundzwanzigste Jahrhundert» austauschen konnte. Susanne schaute sich im Raum um. Lauter interessante und engagierte Menschen, denen derzeit jedoch die Langeweile ins Gesicht geschrieben stand. Das mochte daran liegen, dass das Jahr 2100 doch zu weit entfernt schien, um sich mit voller Kraft seiner Perspektive zuzuwenden. Vielleicht hingen die Menschen aber auch melancholischen Erinnerungen nach, denn die Versammlung war mit dem nostalgischen «In the year 2525» auf das Thema eingestimmt worden.
    «Ob 2525 emotional wirklich weiter weg liegt als 2100?», überlegte Susanne und dachte unwillkürlich an ihren Klassenkameraden Stefan, mit dem sie auf der Fete im 10. Schuljahr Blues getanzt hatte. Bei der Strophe «In the year 3535» hatte er sie so süß geküsst, dass sie …
    Der Schweizer Unternehmensberater riss sie unsanft aus Stefans Armen. «Jetzt präsentiere ich Ihnen die neueste Entwicklung von James Gorden», verkündete der Eidgenosse mit aller helvetischen Begeisterung, die ein Berner Akzent verbreiten konnte. Susanne grübelte über die Entdeckung der Langsamkeit. Ob die Schweizer Schneckenberatung tatsächlich neue Impulse für die ökologische Zukunft ihrer Landeskirche bringen könnte? Immerhin, die Schweizer hatten angeblich einen ausgezeichneten Ruf. Ihr Honorar für diesen Nachmittag überstieg gewiss Susannes Monatsgehalt um mehrere tausend Euro – bzw. Fränkli, korrigierte sich Susanne selbst.
    «Gorden hat entdeckt: die wichtigsten Gespräche finden in den Pausen statt», jubelte der Berner so melodisch, dass Susanne sich automatisch nach einem

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