Trauerspiel
Fragekatalog zusammen und vergleichen noch einmal den Zeitplan, den wir vom Mordtag angefertigt haben. Wenn Frau Dorn-Neustädter tatsächlich die Täterin ist, dann ist sie gefährlich. Und darauf sollten wir gefasst sein.»
Arne schüttelte den Kopf. «Irgendwie kann ich es mir gar nicht vorstellen.»
Tanja hatte die Fotos vom Tatort vor sich ausgebreitet. «Das konnte dein Otello auch nicht.»
«Was?», fragte Arne.
«Sich vorstellen, dass sein treuer Jago ein tödlicher Intrigant war», antwortete Tanja. Eine Antwort, die Arne noch mehr überraschte als die Nachricht von Frau DornNeustädters illegalen Autoausflügen. Tanja bemerkte seine Überraschung. «Ich habe ihn gelesen, abends, im Bett», bemerkte sie lakonisch.
«Wen?», fragte Arne.
«Na, den Otello. Übrigens in beiden Fassungen, in der Opernfassung von Boito und das Shakespearsche Original. Mir gefällt der Boito besser.»
Arne war baff.
«Für Bildung ist es nie zu spät», befand Tanja.
* * *
Susanne war gerade von einem Besuch bei einem Goldhochzeitspaar nach Hause gekommen. Sie war noch ganz erfüllt von dem Gespräch mit den älteren Herrschaften, ihren seit 50 Jahren eingespielten Dialogen, den gemeinsamen Erinnerungen, den Neckereien und auch den kleinen Spitzen, die ab und zu von einem zum anderen flogen. («Ich musste ihn damals schon zum Tanzen auffordern, meinen Sie, er hätte sich dazu aufraffen können»; «Sie hatte schon als junges Mädchen eine spitze Zunge, das haben einige Bewerber vor mir zu spüren bekommen. Ich weiß sie zu nehmen, aber fragen Sie mal ihre Schwestern …») Susanne grübelte darüber, dass sie wohl nie ihre Goldene Hochzeit erleben würde, sie war ja von einer Grünen Hochzeit Lichtjahre entfernt, als das Telefon klingelte.
«Hallo Frau Hertz, hier spricht Michael Berger», klang die Stimme von Julias Onkel aus dem Hörer. «Hätten Sie wohl einen Augenblick Zeit?»
Susanne ließ sich auf ihren Pariser Ledersessel fallen. «Gerne. Geht es um die Beerdigung von Julia?»
Michael Berger hüstelte. «Nein, es ist eine andere Geschichte, aber unangenehm. Sagt Ihnen der Name Sven etwas, Sven Rothermund?»
Susanne schluckte. «Ja, warum?» Das schöne Gefühl der Goldenen Hochzeit verflüchtigte sich. Susanne war plötzlich kalt.
«Ein Kollege von mir hat mir von einer Recherche erzählt. Ein Kind sei sexuell missbraucht worden und habe sich daraufhin das Leben genommen. Alles hat sich auf Malta abgespielt, und die Ursache und die näheren Umstände des Todes seien vertuscht worden. Auch Ihr Name fiel in dem Zusammenhang.»
Susanne atmete tief ein. «Ich bin nicht verantwortlich für den Tod von Sven Rothermund. Das ist eine bösartige Unterstellung. Ich habe diesem Jungen nie etwas getan.» Sie spürte, wie ihr die Luft ausging.
«Frau Hertz, ich glaube Ihnen ja. Und mein Kollege war auch skeptisch, er hat Sie ja persönlich kennen gelernt, als Sie hier im Sender waren. Auf der anderen Seite ist er natürlich ein Journalist, der Hinweisen nachgeht, aus Berufsgründen nachgehen muss.»
Susanne fühlte sich matt und ohne Energie. «Ich bin nicht schuld am Tod von Sven, ich habe mich nie an dem Jungen vergangen. Das wird mir alles zuviel, erst der Mord an Julia, jetzt dieser Schmutz…»
Michael Bergers Stimme klang warm aus dem Hörer. «Frau Hertz, es ist doch nichts geschehen. Der Kollege recherchiert, und ich glaube, je enger Sie mit ihm zusammenarbeiten, umso besser wird das für Sie sein.»
Susanne kam es vor, als ob ihr ein schweres Gewicht auf die Brust drückte. «Ehrlich gesagt, Herr Berger, ich bin jetzt ziemlich verzweifelt und weiß überhaupt nicht, was ich tun muss. Können Sie mir nicht helfen?»
Sie hörte, wie Berger in Unterlagen blätterte. «Ich kann mir nun wirklich nicht vorstellen, dass Sie einem Kind zu nahe treten. Doch Sie wissen ja, die Menschen denken immer das Schlechteste. Mir wäre es am liebsten, diese Reportage bliebe im Stadium der Recherche stecken, einfach, weil der Kollege merkt, dass an der Sache nichts dran ist.»
Susanne kaute auf ihren Fingerknöcheln. «Sonst muss ich die Konsequenzen ziehen, in die Offensive gehen und meine Version erzählen. Vielleicht ist es am besten, ich komme den Gerüchten zuvor. Geben Sie mir doch die Telefonnummer Ihres Kollegen.»
Berger überlegte. «Das wäre eventuell keine dumme Idee. Aber lassen Sie mir noch einen Tag Zeit, vielleicht schaffe ich es, die Sache intern zu regeln. Wenn nicht, steht Ihnen dieser Weg immer noch
Weitere Kostenlose Bücher