Trauerspiel
schwierig, Julia besaß altersgemäß eine Vielzahl dieser Teile.
«Sie bleiben also bei Ihrer Aussage?», hakte Arne nach.
Ulrike Sommer nickte. Alle waren erschöpft.
«Warum haben Sie sich dann nicht gleich bei uns gemeldet?», fragte Arne.
«Ich weiß es nicht, wir hatten einfach Panik», flüsterte Ulrike Sommer. Von ihrer aufbrausenden Art war nichts mehr zu spüren.
Tanja überlegte, ob das, was die beiden Theaterleute erzählt hatten, tatsächlich stimmen konnte. Laut Thorsten Braun schloss er sein Auto nie ab. Angeblich hatte ihm in Macao einmal ein Wahrsager prophezeit, dass er nie sein Auto abschließen dürfe, sonst riskiere er einen Unfall. «Schließe nie dein Auto ab, dann fährst du sicher!», habe der alte Mann gesagt.
«Und damit hatte er recht – ich hatte seitdem keinen Unfall», erklärte Thorsten Braun. Arne seufzte leise. So ein Blödsinn. Wie gut, dass der Chinese nicht Schlimmeres verordnet hatte: fahre stets bei Rot über die Ampel, bremse nie für Kinder – ihm fielen gefährliche Varianten der Vorhersage ein. Tanja schüttelte innerlich den Kopf. Da gaben sich Menschen als aufgeklärte Agnostiker, aber kaum begegneten sie einem Scharlatan in asiatischem Ambiente, schon glaubten sie den letzten Blödsinn. Jedenfalls schlossen Thorsten Braun und Ulrike Sommer nie ihr Auto ab.
«Und geklaut wurde auch nie was!», erklärte Ulrike Sommer bestätigend. In der Tat ging es jetzt auch nicht darum, dass etwas verschwunden war – im Gegenteil. Als Thorsten Braun nach der Probe nach Hause fahren wollte, habe er eine Plastiktüte auf dem Rücksitz entdeckt. Er sei zwar erstaunt gewesen, dass seine Frau bei einem Discounter eingekauft hatte, sich sonst aber nichts dabei gedacht und die Tüte ins Haus getragen. Doch Ulrike Sommer hatte nicht bei einem Discounter eingekauft und so unterzog das Ehepaar die Tüte einer genaueren Prüfung. Sie entdeckten die Kleidung und zu ihrem Entsetzen das Taschentuch mit den bräunlichen Flecken.
«Das war wie ein Schock. Ulrike meinte, eins der TShirts habe sie einmal an Julia gesehen. Jedenfalls – wir wollten die Tüte nur noch loswerden.»
«Und wie wollten Sie das anstellen?», erkundigte sich Arne.
«So genau hatten wir uns das nicht überlegt. Ulrike meinte, wir fahren Richtung Ingelheim und werfen die Tüte in den Rhein oder in einen Abfalleimer.»
«Sie haben nicht daran gedacht, dass Sie damit wichtiges Beweismaterial vernichten könnten?»
Thorsten Braun und Ulrike Sommer schüttelten den Kopf. «Wir hatten einfach Angst.»
«Was glauben Sie, wer Ihnen die Tüte ins Auto gelegt hat?»
«Woher soll ich das wissen?», fragte Thorsten Braun.
«Ich glaube, es war der Mörder!», erklärte seine Frau. «Überhaupt, ich möchte unseren Anwalt sprechen. Wir haben ein Recht darauf.»
«Tun Sie das, wir kommen gleich wieder.»
Tanja und Arne ließen das Ehepaar unter der Aufsicht eines Beamten zurück. Thorsten Braun telefonierte, dann stützte er seinen Kopf in die Hände, Ulrike Sommer hatte die Augen geschlossen und nagte an ihren Fingernägeln. Sie verkörperten perfekt das Bild der verzweifelten, unschuldig Verhafteten.
«Glaubst du ihnen?», fragte Tanja.
Arne war unentschlossen. «Die Geschichte klingt so unwahrscheinlich, dass sie wahr sein könnte. Andererseits – die beiden sind beim Theater. Es könnte eine geschickte Inszenierung sein.»
Tanja überlegte. «Vielleicht hat Thorsten Braun doch etwas mit Julia gehabt. Einmal angenommen, sie treffen sich immer im Theater, er hat ja sein eigenes Büro, dort sind sie ungestört. Julia ist am Abend ihres Todes zu Thorsten Braun gelaufen, sie findet ihn im Gewühl des Empfangs und geht mit ihm in sein Büro.»
«Und dann?»
«Die Sommer überrascht die beiden und ersticht Julia. Oder Julia setzt den Regisseur unter Druck und er ersticht sie.»
Arne schüttelte den Kopf. «Ich glaube nicht, dass Julia im Theater ermordet worden ist. Sie ist vor St. Johannis ermordet worden.»
Tanja überlegte. «Was ich mir auch vorstellen kann: Julia hat ein Verhältnis mit Braun. Der Regisseur will seine Frau für Julia verlassen und erklärt das seiner Frau. Ulrike Sommer stellt Julia zur Rede und die gibt alles zu. Julia hat sich das Verhältnis sehr zu Herzen genommen, deshalb war sie in der letzten Zeit so bedrückt. Sie liebt Thorsten Braun, trägt aber schwer daran, dass sie in eine Ehe eingebrochen ist. Julia entscheidet, dass sie mit einem Menschen über die Sache reden muss: ihr fällt ihre
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