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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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Sechsunddreißig Millionen Rätsel waren eingeliefert, und der König ließ sich eine neue Perücke machen, nur um sich vor Verzweiflung die Haare ausreißen zu können. Denn er wußte nicht, welches Rätsel das beste sei. Die arme Prinzessin aber mußte Tag und Nacht die Rätsel vorlesen und auf jedes „Jaja“ sagen.
    Das wurde ihr denn doch zu bunt. Deshalb ging sie zu ihrem Herrn Vater und sprach:
    „Euer Majestät wollen geruhen zu bedenken, daß doch alle diese Rätsel eigentlich nur einunddieselbe Frage sind. Aber es ist gar nicht bewiesen, daß diese Frage auch die überflüssigste ist, denn sonst hätte mir die Fee Kräkeleia sicher schon ihr Zeichen gegeben.“
    „Potz Blitz“, sagte Hähäh, und schlug sich vor seinen allerhöchsten Schädel, „da hast du recht, meine Tochter.“
    „Sehr wahr“, bemerkte der Großvezier. „Dies kann unmöglich die unnützeste Frage sein.“
    „Das hab’ ich mir gleich gedacht“, meinte der Unteroberhofbrahmane, „ich wollte es nur nicht sagen; aber wir waren offenbar auf dem Holzwege.“
    Und nun sahen alle ein, daß sie einen kolossalen Unsinn ausgebrütet hatten. Der Staatsrat erließ ein Gesetz, daß bei Todesstrafe alles Rätselmachen von jetzt ab verboten sei. Die sechsunddreißig Millionen Rätsel wurden in einem großen Freudenfeuer verbrannt, und der Staatsanwalt fuhr im ganzen Lande umher und fahndete überall auf Rätsel. Aber natürlich fand er keines mehr. Der Oberhofgrundsatzmacher jedoch, welcher die ganze Sache angestiftet hatte, bekam die engsten Stiefel, die aufzutreiben waren, mit Gold gefüllt und mußte darin die Landesgrenze überschreiten.
    Die Prinzessin war nun zwar die Rätsel los, aber im übrigen war ihr nicht geholfen. Da ihr niemand im ganzen Königreiche die überflüssigste Frage der Welt zu sagen wußte, so fing sie an, selbst darüber nachzugrübeln. Oft schickte sie ihre Hofdamen fort und ging allein in dem großen, weiten Parke spazieren, der von einer unübersteiglichen Mauer umschlossen war.
    Mitten in diesem Parke befand sich ein Hügel, darauf stand ein uralter Turm. Rings umher blühten die wilden Rosen, und bunte Falter spielten um ihre Kelche. Hier wandelte die Prinzessin am liebsten, und ihre traurigen Augen glitten oft an dem grauen Gemäuer vorüber und an der seltsamen Gestalt, die vor der Tür des Turmes saß und mit weltfernem Blick in die Weite sah. Wenn aber die Prinzessin sich abwandte, so folgten ihr die Augen des Wächters, und es glänzte darin geheimnisvoll, wie wenn der Nachthimmel sich im dunklen Bergsee spiegelt.
    In dem Turme hauste einsam und abgeschieden von der ganzen Welt der Oberhofkrondiamantenzerklopfer. Es lag nämlich unter dem Turm in einem festen Gewölbe der größte Schatz des Königreichs, wie es keinen zweiten gab auf der Erde. Das war ein funkelnder Diamant, rein und weiß, und so groß wie ein Menschenherz. Niemand durfte ihn sehen und niemand hatte ihn gesehen, auch der König nicht. Niemand auch konnte in das Gewölbe dringen, vor welchem ein Zauberschloß befestigt hing, und außerdem war es jedermann verboten, den Turm zu betreten oder mit dem Oberhofkrondiamantenzerklopfer zu sprechen. Und dieser durfte nichts wissen von dem, was in der Welt vorging. Denn wenn von den Stimmen der Menschen oder dem Geräusch des Tages etwas bis zu dem Stein gedrungen wäre, so hätte der Stein blind werden müssen.
    In einer schlaflosen Nacht war nun aber dem König eingefallen, daß einmal der Feind eindringen und sich des Schatzes bemächtigen könne. Und da der König bei Nacht ein sehr kluger Mann war, so fiel ihm noch weiter ein, daß es das Sicherste sei, jemand anzustellen, der nichts weiter zu tun habe, als darauf zu warten, daß einmal der Feind käme. Dann sollte er mit dem Zauberschlüssel, der an der Wand hing, das Gewölbe aufschließen und mit dem großen Hammer daneben den Stein in Stücke schlagen. Denn der Feind sollte auch seinen Ärger haben. Und deswegen hatte er das Amt des Oberhofkrondiamantenzerklopfers geschaffen.
    Da aber niemand Oberhofkrondiamantenzerklopfer werden wollte, so ernannte er dazu seinen jüngsten Hirtenbuben. Der saß nun schon zehn Jahre in oder vor dem Turme und wartete. Weil er gar nichts zu tun hatte, so ging seine Seele in der weiten Welt spazieren, und weil er mit niemand sprechen durfte, so sprach er mit den Rosen am Hügel und mit den Wolken, die vorüberzogen, und in der Nacht mit den lichten Himmelssternen. Der Stein im Gewölbe aber durchstrahlte

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