Traumkristalle
daß er Menschen zu versetzen vermag. Er ist mit der Abtrennung des transzendentalen Bewußtseins vertraut und organisiert schnell einen zweiten Körper, das Phantom, welches er an einem andern Orte erscheinen läßt. Dieses Verfahren ist unter dem Namen Majava-Rupa in Indien seit den ältesten Zeiten bekannt. Die Möglichkeit der scheinbaren Zaubereien des Geistes ist also erwiesen.“
„Aber –“
„Bitte. Schwieriger ist die zweite Frage. Woher stammt der Geist, und wie kann sein Wille an den Besitz der Lampe gebunden sein? Ich muß gestehen, ich bin zu sehr Neuling in der Transzendental-Psychologie, um mit Sicherheit das Richtige zu treffen; andere werden bessere Erklärungen geben können. Ich denke mir die Sache folgendermaßen: Die Individuen des Geisterreiches bilden eine ethische Gemeinschaft; es wird daher auch die Notwendigkeit einer Bestrafung eintreten können. So wie sich das transzendentale Ich einen menschlichen Körper organisiert, um seine Erfahrung durch die irdische Inkarnation zu erweitern, und währenddessen an die Gesetze des sinnlichen Organismus gebunden ist, so wird ein ethisch unreifer Geist auch zur Strafe an ein Kunstprodukt, einen Ring, eine Lampe gefesselt werden können. Denn Gerätschaften sind Organ-Projektionen, das heißt nichts anderes, als Organisationen zweiter Ordnung; daher ist die Strafe für den Geist eine härtere. Außer seinem Astralleib hat er jetzt nicht, wie wir, einen Eiweißleib, sondern einen Metalleib. Das Reiben der Lampe entspricht genau dem sogenannten magnetischen Streichen beim Hypnotisieren. Das transzendentale Bewußtsein wird dadurch frei, sein Wille aber ist von dem des Magnetiseurs abhängig. Ich erinnere an die bekannten Erscheinungen der Suggestion, wobei man dem Hypnotisierten jede beliebige Vorstellung beibringen und ihn zu jeder Handlung bestimmen kann. Es wäre ein Mangel an logischer Konsequenz, wollte man nicht auch dem an die Lampe gebundenen Transzendental-Bewußtsein die Fähigkeit zusprechen, durch Streichen von seinem Leibe befreit zu werden; es ist dann ganz selbstverständlich, daß der Hypnotiseur der Lampe den Geist nach seinem eigenen Willen lenken kann. Ich erkläre also mit voller Bestimmtheit und aus meiner wissenschaftlichen Überzeugung: Aladins Sklave der Lampe hat existiert und seine erstaunlichen Taten verrichtet. Wenn seine Strafzeit nicht schon beendet, so ist er noch jetzt an die Lampe gebunden. Und wenn diese Lampe vor uns, wie mir zweifellos scheint, die echte Lampe Aladins ist, so bin ich bereit, empirisch zu erweisen, daß der Geist auch mir gehorchen muß.“
„Sehr schön demonstriert!“ rief Alander belustigt. „Das könnte wörtlich in der ‚Sphinx’ stehen. Wenn ich nur sicher wäre, daß mir der Geist auch die abgeriebene Patina wieder reorganisieren’ kann.“
„Schade“, sagte meine Frau, „es war mir so nett zu denken, daß dies die Lampe Aladins sei. Aber nachdem du die Sache philosophisch bewiesen hast, bin ich überzeugt, daß kein Wort davon wahr ist.“
„Das tut mir leid. Dir fehlt das Organ des wissenschaftlichen Glaubens. Aber Sie, Frau Alander, Sie sind ein Sonntagskind, Sie werden an dem Geiste der Lampe nicht zweifeln.“
„Wissen Sie“, sagte Frau Alander, „wenn ich ganz offen sein soll, Ihre gelehrte Rede habe ich noch nicht ganz verstanden; die müßte ich erst einmal gedruckt lesen. Ich sage ganz einfach, wenn die Geschichte wahr wäre, so hätte der Zauberer die Lampe sich selber geholt und wäre nicht erst auf Aladin verfallen.“
„O weh! Ich glaube, ich hätte so schön populär gesprochen! Ihr Einwand ist übrigens gar nicht stichhaltig, denn bei allen mystischen Operationen bedarf es erfahrungsgemäß eines Mediums, und jedenfalls hatte sich der Zauberer überzeugt, daß Aladin dazu geeignet sei. Auch das Anzünden von Räucherwerk auf der Steinplatte vor dem Eingange spricht dafür, daß Aladin in somnambulem Zustande handelte. Wie hätte er auch sonst drei Tage zu hungern vermocht?“
„Was ist aber aus der Lampe nach Aladins Tode geworden?“
„Er wird sie vorher selbst, um Mißbrauch zu verhüten, in den Tigris geworfen haben.“
„Und wie erklären Sie denn überhaupt die Existenz des unterirdischen Gewölbes und die Ausstellung der Lampe daselbst?“ fragte Alander.
Diese Frage setzte mich etwas in Verlegenheit. Ich hob daher erst zum sechstenmale das Zwirnknäuel meiner fleißigen Nachbarin auf und sagte dann:
„Ich könnte mich darauf berufen, daß wir
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