Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
von der Realität und ihren Gefahren ablenken.
»Mutig«, kommentiert Hailey und Bewunderung schwingt in ihrer Stimme mit. Auf einmal kommt sie sich neben Kira hilflos und klein vor.
»Deine Haare sind also auch ...?«
»Eingearbeitet, ja«, bestätigt Kira ihre unausgesprochene Vermutung. Farbeinarbeitung ist eine Methode, die nur sehr wenige Menschen benutzen, da sie ebenso wie Tattoos nicht als schön gilt. Dabei werden die Haarwurzeln so behandelt, dass sie den gewünschten Farbton produzieren. Im Gegensatz zum Färben ist diese Art weitaus schmerzhafter, aber auch langlebiger.
»Und was ist mit dir Caleb?«
Sofort merkt Hailey, dass sie etwas Falsches gefragt hat. Tiefe Falten zerfurchen Calebs Stirn und sein Blick wandert in weite Ferne.
»Ich bin schon länger hier.«
»Wie lange?«, fragt Hailey, bevor sie sich zurückhalten kann. Innerlich verpasst sie sich dafür eine Ohrfeige.
»Vierzehn Jahre.«
Haileys Herz setzt kurz aus, als sie die Dimension seiner Verzweiflung begreift.
»So lange?«
Caleb nickt und sein düsterer Gesichtsausdruck verstärkt sich.
»Meine Eltern wollten mich damals sterben lassen. Sie weigerten sich, den Arzt zu mir zu lassen. Sie wollten sehen, was Seelenfresser anrichten können. Ich war ihr Versuchskaninchen.«
Bitterkeit vergiftet seine melodische Stimme.
»Sie wollten mich opfern, damit die Seelenfresser sie in Ruhe lassen. Aber ich überlebte.«
Grimmige Genugtuung entstellt seine sonst so freundlichen Gesichtszüge.
»Ich bin seit vierzehn Jahren hier und hatte genug Zeit, mir über alles Gedanken zu machen. Hailey, irgendetwas stimmt hier nicht.«
»Die Aufsässigen sind diejenigen, die ihr Kontrollmittel verweigern wollten und deshalb hier eingesperrt wurden. Sie erhalten die Spritze noch jeden Abend«, unterbricht Kira ihn und knüpft so an ihre Erzählung an.
Haileys Atem stockt. Die Aufregung hat ihren Verstand dermaßen durcheinander gebracht, dass sie nicht einmal gemerkt hat, dass die abendliche Spritze gestern fehlte. Sie hätte sterben können.
»Aus deiner Reaktion schließe ich, dass du die Spritze nicht bekommen hast.«
Ein freudiges Lächeln breitet sich auf den Gesichtern der beiden aus. Verwirrt und verängstigt begegnet Hailey ihren Blicken.
»Wir bekommen auch keine Spritzen. Deshalb nennen wir uns resistent . Wir können ohne Kontrollmittel träumen und trotzdem leben wir. Die Traumlosen stellen für die Regierung die größte Gefahr dar. Die Resistenten können solche sein, ohne es jemals zu bemerken. Doch Traumlose wissen, dass sie anders und damit gegen die Seelenfresser immun sind. Und wer gegen die Seelenfresser immun ist, kann von der Regierung nicht kontrolliert werden ...«
Kira schnippst mit den Fingern als hätte sie damit alles erklärt. Als Hailey noch immer verwirrt dreinschaut, seufzt sie.
»Warum freut sich die Regierung nicht, dass manche Menschen nicht von diesen Monstern angegriffen werden können. Hast du dich das nie gefragt?«
Caleb mustert sie eindringlich und Hailey merkt, dass sie auf die Probe gestellt wird. Sie muss sich als würdig erweisen.
»Weil sie uns kontrollieren will «, entgegnet Hailey und verblüfft damit die Anderen.
»Genau«, bestätigt Caleb und wirft Kira einen bedeutungsvollen Blick zu.
»Jeder weiß, was mit Traumlosen passiert. Alle wissen, dass die Regierung herrschen will und sie deshalb einsperrt. Sie haben das akzeptiert, um zu überleben. Niemand traut sich, gegen die Regierung vorzugehen. Das ist die Wahrheit.«
Kira ist von Haileys durchdachten Worten überrascht und wirft Caleb einen vielsagenden Blick zu.
»Sie ist gar nicht so dämlich wie ich dachte. Hey, das war ein Kompliment«, lacht sie, als Hailey ihr hart gegen das Schienbein tritt. Grinsend reibt sie sich die schmerzende Stelle.
»Wenn wir jetzt alles geklärt haben, sollten wir dringend zum Wesentlichen zurückkehren. Dein Name steht für morgen auf der Liste.«
»Morgen«, wiederholt Caleb und Hailey sieht Überlebenswillen in seinen Augen aufleuchten. »Das ist noch mehr als genug Zeit.«
»Morgen?!«, echot Macy. »Das ist nicht genug Zeit!«
Als sich ihre Lippen schließlich voneinander gelöst haben, hat Jules sofort bei seinem Vorgesetzten angerufen und um eine Klinikbesichtigung gebeten. Allerdings hat die Bürokratie mehrere Wochen in Anspruch genommen, um Jules die nötigen Papiere auszustellen. Wochen, in denen die beiden sich näher gekommen sind. Wochen, in denen Macy sich fühlte, als habe sie
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