Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
träume noch immer nicht.«
Für einen kurzen Augenblick ist es erschreckend still im Raum.
»Du bist vierzehn.«
»Ich weiß.«
»Mit vierzehn sollte man spätestens anfangen, sich an seine Träume zu erinnern.«
»Ich weiß.«
»Das heißt, du solltest anfangen, sie aufzuschreiben. Genau wie alle anderen in deiner Klasse.«
»Mama, es gibt nichts, was ich aufschreiben könnte. Meine Nächte sind schwarz und dunkel«, insistiert Hailey.
»Schreib wenigstens irgendetwas auf, was du nach den Ferien in der Schule vorzeigen kannst.«
Mit schnellen Schritten ist Eleonore bei dem zerfledderten Buch und wirft es Hailey zu.
»Bitte. Irgendetwas. Ich werde mit dem Arzt reden, dass wir deine Probezeit verlängern. Bis dahin musst du in der Öffentlichkeit so tun, als würdest du träumen, sonst stecken sie dich in die Klinik. Hast du das verstanden, Hailey?«
Sie tritt energisch auf ihre Tochter zu und packt ihre Schultern. In ihren braunen Augen sieht Hailey ihr eigenes verängstigtes Gesicht.
»Ja, Mama.«
»Abendessen.«
Die automatiserte Stimme reißt Hailey aus dem Schlaf. Erschrocken setzt sie sich auf. Abendessen . Der Moment ist gekommen. Ohne Umschweife tritt sie aus der Tür hinaus und sucht nach Caleb. Als sie ihn entdeckt, geht sie auf ihn zu und zieht ihn am Ärmel mit sich.
»Wohin führen die Fließbänder?«
Verdutzt will Caleb stehen bleiben, doch Hailey zieht in weiter.
»Ich weiß es nicht ... Wieso?«
»Die Löcher sind groß genug, um sich durchzuquetschen.«
Hailey wirft ihm einen verstohlenen Seitenblick zu und bemerkt zu ihrer Befriedigung, dass er verstanden hat.
»Das stimmt. Aber der Raum ist voller Wächter.«
»Ablenkung.«
Das Geplauder der Insassen um sie herum wird lauter, je näher sie dem Speisesaal kommen. Dennoch senkt Hailey verschwörerisch die Stimme:
»Kira und ich lassen uns was einfallen. Du musst heute noch hier raus.«
»Ich gehe nicht ohne euch!«
»Du musst. Kira und ich kommen nach.«
»Nein«, sagt Caleb bestimmt und bleibt stehen. Eine junge Frau rempelt ihn von hinten an und beschwert sich über sein abruptes Innehalten, aber er beachtet sie nicht.
»Ich meine es ernst: Nicht ohne euch«, wiederholt er und sieht Hailey dabei tief in die Augen. In ihrem Bauch breitet sich ein warmes Gefühl aus und ihre Wangen beginnen zu glühen.
»Okay«, haucht sie und kommt sich dabei unsagbar dämlich vor. Schnell wendet sie den Blick ab und betrachtet die weiß getünchten Wände.
»Hey ihr zwei!«
Überschwänglich klopft Kira Hailey und Caleb auf die Schultern und grinst sie an, als würde ihr Lachen die Welt retten können.
»Hey«, erwidern die Angesprochenen monoton.
»Ihr seid ja richtig gut gelaunt.«
»Ich hätte einen Plan, der Caleb retten kann«, murrt Hailey.
»Das ist doch super!«
»Dieser Plan würde nur mich retten«, fügt Caleb hinzu und reiht sich in die Schlange der Wartenden ein.
»Aber du bist momentan auch der Einzige, der wirklich gerettet werden muss.«
Kiras Zustimmung erleichtert Hailey und sie vollführt innerlich einen Freudentanz.
»Siehst du«, stichelt sie und grinst Caleb hämisch an. Kira nimmt eine ihrer türkisfarbenen Strähnen in die Hand und betrachtet sie eingehend. Auf ihrer Stirn erscheinen kleine Sorgenfalten. Schließlich lässt sie ihre Haare los und konzentriert sich auf Hailey.
»Also?«
»Also was?«, fragt diese verblüfft und greift gleichzeitig nach einem Tablett.
»Wie soll Caleb entkommen?«
Ihre Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Hailey nickt mit ihrem Kopf zu der Öffnung in der Wand und Kiras Augen weiten sich.
»Wir haben keine Ahnung, wo das Fließband hinführt. Vermutlich befinden sich da hinter Arbeiter und ...«
»Es ist die einzige Lösung, die mir eingefallen ist«, zischt Hailey verletzt. Sie war zu stolz auf ihren Plan, um solche Hindernisse zu bedenken. Abwehrend hebt Kira das Tablett vor ihre Brust.
»Schon gut. Die Grundidee ist auch gar nicht mal so schlecht. Wir sollten lediglich an der Umsetzung arbeiten.«
»Wie diplomatisch«, brummt Hailey und erstarrt, als sie kühles Metall an ihrer Wange spürt.
»Bist du Hailey?«
»Ja«, stammelt sie und Caleb schlägt sich seine Hand gegen die Stirn.
»Mitkommen.«
Der Wächter packt sie am Arm und zieht sie durch den Speisesaal. Alle Augen sind auf sie gerichtet und ihr Gesicht brennt vor Scham. Als sie die Türschwelle übertreten hat, fällt das Metall hinter ihr ins Schloss.
»Hailey!«
Eine bekannte Stimme lässt
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