Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
tritt einen Schritt zurück und sieht Hailey verblüfft an. Ihr sonst so gepflegtes Gesicht ist mit roten Flecken übersät und ihre Augen sind geschwollen.
»Wie meinst du das?«
»Du hast mir immer erzählt, dass mein Vater einfach abgehauen ist und uns alleine gelassen hat. Warum?«
Betreten blickt Eleonore auf den Wasserfleck, der sich langsam auf dem eleganten Parkettboden ausbreitet. Mit ihrer Fußspitze schiebt sie vorsichtig eine Scherbe zur Seite.
»Möchtest du nicht erst einmal ins Wohnzimmer kommen? Ich denke, wir haben uns einiges zu erzählen.«
Hailey folgt ihrer Mutter durch die ihr eigentlich bekannte Wohnung. Obwohl sie hier ihr ganzes Leben verbracht hat, wirkt die Umgebung plötzlich eigenartig fremd. Die Kommode, auf der einst ein gerahmtes Bild von ihr stand, ist leer. Über ihr hängt eine von Eleonores unzähligen Auszeichnungen.
Erschöpft lassen sich die beiden Frauen auf dem Sofa nieder.
»Möchtest du etwas trinken?«
»Sehr gerne.«
Kurze Zeit später hält Hailey ein Glas Orangensaft in der Hand. Eleonore streift mit ihren Fingern über das beigefarbene Leder der Couch und greift schließlich nach Haileys Knie. Ihre Tochter hält ihrem traurigen Blick stand.
»Also«, beginnt sie und holt tief Luft, »dein Vater ist nicht einfach abgehauen. Er wurde von der Regierung geholt, weil er sich nicht an die Regeln halten konnte. Er war ein übler Verbrecher ... Dieses Wissen wollte ich dir nicht zumuten. Ich dachte, er wäre ein ehrbarer Mann. Ich habe ihn wirklich von ganzem Herzen geliebt ... Aber an dem Abend, an dem mir mitgeteilt wurde, dass er nie wieder nach Hause kommen würde, weil er illegale Machenschaften betrieben hatte, ist in mir alles zerbrochen. Ich wollte nicht, dass sie dich auch noch mitnehmen. Und ich wollte nicht, dass du die Wahrheit über deinen Vater erfährst. Ich ...«, nervös bricht sie ab.
»Du?«
»Ich hatte Angst, dass du so wirst wie er.«
Haileys Herz setzt für einen Schlag aus.
»Ich bin wie er«, sagt sie schließlich. Langsam, bedächtig. Die Augen ihrer Mutter weiten sich. Sie schüttelt den Kopf.
»Nein, mein Schatz. Du kannst nichts dafür, dass du nicht träumen kannst. Er hat willentlich Gesetze gebrochen. Du bist kein böser Mensch.«
Abrupt rutscht Hailey ein Stück zurück. Mit einem Mal findet sie die Berührungen ihrer Mutter unerträglich. Warm, schwitzig und verlogen. Ihre Mutter muss die Wahrheit erfahren.
»Papa war nicht böse.«
Fragend runzelt Eleonore die Stirn und legt den Kopf schief.
»Ich verstehe nicht?«, haucht sie.
»Er wollte mich retten. Deswegen wurde er festgenommen. Ich habe in der Klinik jemanden getroffen, der meinen Vater kannte. Er hat mir alles erzählt. Mama, es ist wichtig, dass du mir jetzt zuhörst. Bitte unterbrich mich nicht. Wenn du mir nicht glaubst, dann gehe ich und werde nie wieder zurückkehren. Aber wenn ich dich überzeugen kann, wirst du plötzlich alles mit anderen Augen sehen. Ich hoffe, dass es dir dann besser gehen wird, aber natürlich kann ich mir nicht sicher sein.«
Forschend sieht sie ihrer Mutter in die braunen Augen. Ihre Unsicherheit ist deutlich zu spüren.
»Ich weiß nicht«, murmelt sie. »Hailey, du erwartest gerade sehr viel von mir. Du bist doch gerade erst zurück! Können wir unser Wiedersehen nicht etwas feiern? Ich weiß, dass ich dich die letzten Jahre nicht immer fair behandelt habe. Aber ich hatte so große Angst, dass die Regierung dich auch mitnimmt. Und genau das haben sie auch getan ... Also bitte gib mir etwas Zeit.«
Hailey stutzt. Sie hat mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass ihre Mutter erst eine kleine Willkommensfeier schmeißen möchte.
In ihrem Kopf fiel ihre Mutter ihr lachend um den Hals oder schmiss sie raus, ohne ihr zuzuhören.
»Ist das dein ernst?« Haileys Gedanken rasen. »Mama, ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben. Mir sind zwar keine Wächter gefolgt, aber vermutlich bin ich mit einem Peilsender versehen, so dass sie mich jederzeit finden können ...«
Eleonore schüttelt den Kopf.
»Nein, keine Sorge, mein Schatz. Die Insassen der Klinik bekommen zwar tatsächlich Sender implantiert, aber Mat hat mir versprochen, dass er das bei dir verhindert.«
»Deshalb hat er also darauf bestanden, die Untersuchung bei mir durchzuführen!«, entfährt es Hailey.
»Ja und er hat sich damit einige Probleme eingehandelt ... Aber das war es ihm wert. Er gehörte immer zu den Guten. Deshalb habe ich auch nicht verstanden, weshalb er dich
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