Traummann auf Raten
den Ring abzustreifen. Sie streckte ihn Gabriel entgegen. „Ich gebe ihn dir schon jetzt zurück. Sicher hast du noch Verwendung dafür.“
Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte ein undeutbarer Ausdruck in seinen Augen auf. „Gestern ist mir zufällig Dads alte Reitgerte in die Hände gefallen“, bemerkte er trügerisch sanft. „Ich könnte mir durchaus einen anderen Verwendungszweck dafür denken. Führe mich nicht in Versuchung, Joanna.“
Die Luft im Zimmer schien plötzlich vor Spannung zu knistern.
Joanna biss sich auf die Lippe. „Vorsicht, Gabriel. Dein berühmter Charme lässt dich im Stich.“
„Ich kann mich nicht erinnern, dass er bei dir je viel bewirkt hätte, Liebling. Und nun steck den Ring wieder an, und komm mit nach unten. Sei noch ein bisschen ein tapferes Mädchen“, fügte er spöttisch hinzu.
Sie zögerte kurz, bevor sie den Ring zornbebend in die Rocktasche schob und Gabriel in die Halle folgte. Vor der Salontür blieb sie stehen. „Eines muss ich dich noch fragen.“
„Ja?“ Er machte sich nicht die Mühe, seine Ungeduld zu verbergen.
„Hast du meinen Brief gefunden?“
Er nickte. „Gefunden und gelesen.“
„Und … wie denkst du darüber?“
Er zuckte die Schultern. „Der Inhalt macht den mangelhaften Stil wett.“
„Du weißt genau, dass ich das nicht gemeint habe. Ich habe dich um eine schnelle, einvernehmliche Scheidung gebeten und hätte gern eine Antwort.“
„Ja oder nein? Hier und jetzt?“ Er zog die Brauen hoch.
„Bitte. Falls es dir nicht zu viel Mühe bereitet.“
„Keineswegs.“ Er betrachtete ihre geröteten Wangen und das trotzig erhobene Kinn. „Die Antwort ist Ja, Joanna. Du sollst die Scheidung haben. Je früher, desto besser. Die Details können wir später erörtern.“ Als sie schockiert den Mund öffnete, nahm er sie beim Arm und drängte sie in den Salon.
Sie fühlte sich auf einmal wie betäubt, völlig emotionslos. Aber warum empfand sie so? Schließlich hatte sie bekommen, was sie wollte – was sie brauchte. Eigentlich hätte sie euphorisch vor Freude sein müssen. Oder zumindest so euphorisch, wie es die gegenwärtigen Umstände gestatteten.
Sie bemerkte Cynthias prüfenden Seitenblick, als sie an ihr vorübergingen, und konnte nur mit Mühe den Impuls unterdrücken, triumphierend den Daumen nach oben zu strecken.
Außer ihrer Stiefmutter und Henry Fortescue waren noch Mrs. Ashby und ihr Mann Tom, der als Obergärtner auf dem Anwesen arbeitete, der Gutsverwalter Graham Walch, Sadie, die Pferdepflegerin, sowie das übrige Personal anwesend.
Joanna hätte am liebsten vor Freude über ihre baldige Freiheit laut gejubelt, doch die Vernunft sagte ihr, dass dies weder der rechte Ort noch der rechte Zeitpunkt war. Wenigstens für die nächste halbe Stunde musste sie die ihr zugedachte Rolle weiterspielen.
Aber dann …
Widerstrebend ließ sie sich zu einem Sessel geleiten und schaffte es, nicht zusammenzuzucken, als Gabriel sich auf die Armlehne setzte und in scheinbarer Eintracht die Hand auf ihre Schulter legte.
Henry Fortescue vergeudete keine Zeit mit langatmigen Erklärungen. Der Hauptteil von Lionels Anwesen gehe an Gabriel, sagte er, allerdings gebe es einige persönliche Legate, und er wolle mit den kleineren beginnen.
Jeder Angestellte, bis hin zu Mrs. Kemp, der Putzfrau, war mit der Lionel eigenen Großzügigkeit bedacht worden.
„Cynthia Elcott“, las Mr. Fortescue weiter, „vermache ich das viktorianische Ölgemälde mit dem Titel ‚Ebbe‘, das sie stets so bewundert hat.“
Aus dem Augenwinkel bemerkte Joanna das selbstzufriedene Lächeln ihrer Stiefmutter, die sichtlich darauf brannte, den Rest ihres Glücks zu erfahren.
Aber offenbar war es das schon. Mr. Fortescue kam nämlich zum nächsten Punkt. „Meiner geliebten Schwiegertochter Joanna Catherine Verne hinterlasse ich das frei stehende Haus in der Meadow Lane, besser bekannt als Larkspur Cottage.“
Joanna hörte Cynthia vor Empörung nach Luft schnappen, doch sie konnte ihre Aufmerksamkeit nicht vom Anwalt abwenden, der ihr gerade mitteilte, dass Lionel ihr überdies eine jährliche Rente in Höhe von fünfzigtausend Pfund ausgesetzt habe.
Tränen stiegen ihr in die Augen, ihre Kehle war wie zugeschnürt. Ich kann das Cottage verkaufen und so weit wegziehen, wie ich will, überlegte sie erleichtert. Guter Lionel. Er hat mich verstanden.
Mr. Fortescue war jedoch noch nicht fertig. „Beide Vermächtnisse sind mit der Klausel verbunden, dass
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