Traummann auf Raten
zu trösten.
5. KAPITEL
Joanna hielt es für klüger, den Rest des Tages auf ihrem Zimmer zu verbringen. Sie nahm die zuletzt eingetroffenen Kondolenzbriefe mit nach oben, um sie zu beantworten. Keine angenehme Aufgabe, aber wenigstens würde sie ihr helfen, sich von den weitaus beunruhigenderen Gedanken abzulenken, die sie zu überwältigen drohten.
Sie erwartete einen Besuch von Cynthia, die über Lionels Testament ebenfalls nicht erfreut sein und daher mit Vorwürfen kaum sparen würde. Aber vorerst schien ihre Stiefmutter auf Distanz zu gehen.
Zumindest bei mir, korrigierte Joanna sich im Stillen.
Als Mrs. Ashby sich nach ihren Dinnerwünschen erkundigte, bestellte sie lediglich ein wenig Suppe. „Ich will früh schlafen gehen und möchte daher nicht gestört werden“, fügte sie hinzu.
„Sehr wohl, Madam.“ Mrs. Ashby nickte. „Mr. Verne und Mrs. Elcott speisen übrigens im Crown Hotel.“
Das erklärt natürlich einiges, dachte Joanna, als sie wieder allein war.
Sie zog Nachthemd und Morgenmantel an und nahm das Abendessen vor dem knisternden Kaminfeuer ein. Lionel hat diesen Komfort im Schlafzimmer geliebt, erinnerte sie sich traurig.
„Heizkörper haben nichts Behagliches“, hatte er behauptet. Nachdem sie eine Weile Radio gehört hatte, ging sie ins Bett und wollte lesen, doch die Buchstaben schienen vor ihren Augen zu tanzen. Sie versuchte zu schlafen, aber ihre Gedanken drehten sich unablässig im Kreis und ließen ihr keine Ruhe. Rastlos drehte sie sich von einer Seite auf die andere, auf der vergeblichen Suche nach Entspannung.
Nichts konnte die Tatsache aus der Welt schaffen, dass Gabriels Kuss sie zutiefst aufgewühlt hatte. Genauso beunruhigend war die Erkenntnis, dass sie ihm nicht widerstanden hatte. Sie hatte ihn danach nicht einmal geohrfeigt, obwohl sie es hätte tun sollen.
Sie hätte ihm unmissverständlich zeigen müssen, dass sein Verhalten unmöglich war und von ihr nicht geduldet wurde.
Die Erinnerung an seinen warmen, so vertrauten Mund verfolgte sie. Ließ sie erneut erschauern – vor Abscheu, wie sie sich einredete. Er hatte kein Recht dazu, sagte sie sich. Ich habe ihn nicht im Mindesten ermutigt.
Andererseits hatte Gabriel noch nie gewartet, bis man ihn einlud, insbesondere dann nicht, wenn es um Sex ging. Er hatte sich immer genommen, was er wollte. Er hatte ihr den Kuss ebenso rücksichtslos aufgezwungen wie die Klauseln des Testaments.
Morgen werde ich mich über die Scheidungsgesetze informieren, beschloss Joanna. Vielleicht gab es ja eine Alternative, die Gabriel nicht bedacht hatte.
Sie konnte nicht wirklich glauben, dass er einer Scheidung vor Gericht widersprechen oder sie so lange warten lassen würde, wie er gedroht hatte. Er benutzte diese Möglichkeit lediglich als Druckmittel, damit sie sich seinen Wünschen fügte. Aber warum?
Joanna schüttelte den Kopf und blickte in die Dunkelheit. Er musste doch genau wie sie darauf brennen, dieser unerträglichen Situation ein Ende zu bereiten.
Der einzige Grund, der ihr für seine Weigerung einfiel, war sein Stolz. Gabriel wollte vertuschen, dass seine Frau bereit war, auf Lionels Großzügigkeit zu verzichten, nur um sich von seinem Sohn zu befreien.
Er mochte sie zwar in die Ecke gedrängt haben, aber von nun an würde sie selbst Bedingungen stellen, wenn sie diese Farce mitmachen sollte.
Irgendwann sank sie in einen unruhigen Halbschlaf, aus dem sie stündlich erwachte, sobald die alte Standuhr auf dem Treppenabsatz schlug. Wann Gabriel und Cynthia nach Hause kamen, hörte sie jedoch nicht.
Sie war fast erleichtert, als Mrs. Ashby ihr pünktlich den Morgentee servierte und sie nicht mehr so tun musste, als würde sie ruhen.
Die Haushälterin sah sie besorgt an. „Wollen Sie heute im Bett bleiben, Madam? Soll ich den Arzt rufen?“
„Nein und nein.“ Joanna rang sich ein Lächeln ab. „Ich habe heute viel zu erledigen.“
„Ja, Mrs. Verne.“ Mrs. Ashby zögerte. „Wünschen Sie, dass ich Ihre Sachen ins große Schlafzimmer bringe? Mr. Gabriel sagte mir gestern, dass er es hergerichtet haben will, und ich wusste nicht, ob …“
„Mr. Gabriels Anweisungen betreffen nicht mich. Solange ich im Manor wohne, behalte ich diesen Raum.“
„Natürlich, Madam.“ Die ältere Frau war sichtlich verlegen. „Was ist mit den persönlichen Dingen des verstorbenen Mr. Verne?“
„Ich werde mit Mr. Gabriel reden und ihn fragen, was er vorschlägt. Dann gehen wir sie gemeinsam durch.“
Diese Klippe
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