Traummann auf Raten
besagte Joanna Catherine Verne mit meinem Sohn Gabriel Verne verheiratet bleibt und mit ihm für ein Jahr und einen Tag auf Westroe Manor wohnt, gerechnet ab dem Tag der Testamentseröffnung.“
In der nun folgenden Stille hätte man eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Joanna spürte förmlich die überraschten Blicke der anderen Anwesenden – und Cynthias Zorn. Der Druck von Gabriels Fingern auf ihrer Schulter wurde stärker. Sie wollte laut protestieren, aber die Stimme versagte ihr den Dienst.
Fassungslos schaute sie Mr. Fortescue an, flehte ihn stumm an, allen zu erklären, dass es sich um einen bösen Scherz handele. Dass Lionel ihr niemals eine so grausame Bedingung stellen würde.
Aber sonderbarerweise schien die große Gestalt des Anwalts zu schrumpfen, so dass Joanna den Eindruck hatte, sie würde durch das falsche Ende eines Fernrohrs blicken. Sie versuchte mit letzter Kraft, sich aus Gabriels Griff zu befreien und zu Mr. Fortescue zu gelangen, doch plötzlich umgab sie nur noch Dunkelheit, und sie fiel in ein tiefes Loch.
Eine Stimme sagte unablässig Joannas Namen. Eine Stimme, die sie nicht hören wollte. Unwillig stöhnte Joanna auf.
Als sie widerstrebend die Augen aufschlug, lag sie auf einem der Sofas. Gabriel saß auf der Kante und hielt ein Glas Wasser.
„Was ist passiert?“ Mühsam richtete sie sich auf und sah sich im leeren Zimmer um. „Wo sind die anderen?“
„Ich habe sie hinausgeschickt, als du in Ohnmacht gefallen bist“, erwiderte er. „Jetzt lieg still, und trink das.“ Er hob das Glas an ihre Lippen, und Joanna zwang sich zum Schlucken. „Sie waren alle sehr verständnisvoll“, fuhr er fort. „Ihnen ist klar, welch enormem Stress du in den letzten Wochen ausgeliefert warst.“
In ihrem Kopf schien sich alles zu drehen. Seufzend lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. „Sie kennen nicht einmal die halbe Wahrheit.“ Da ihr ein wenig übel war, trank sie noch etwas Wasser. Endlich hatte sie den Mut, Gabriel anzuschauen. Seine Miene war undurchdringlich. „Tut mir Leid, dass ich mich so dumm benommen habe. Es war der Schock.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann einfach nicht fassen, dass Lionel mir das angetan hat.“
„Du bist nicht die einzige Leidtragende.“
Der Unterton in seiner Stimme machte sie stutzig. Erschrocken erkannte sie, dass Gabriel trotz seines gelassenen Äußeren innerlich vor Wut schäumte.
„Allerdings pflege ich nicht ohnmächtig zu werden“, fügte er spöttisch hinzu.
„Es war keine Absicht“, verteidigte sie sich. „Das ist ungerecht.“
„Was ist schon gerecht?“
„Sei unbesorgt“, erklärte sie rasch. „Ich werde das Erbe ablehnen.“
„Dann wärst du eine Närrin. Außerdem wäre es zwecklos.“
„Was meinst du?“
„Ich meine, geliebtes Weib, dass ich noch einmal über unsere Ehe nachgedacht habe und zu dem Schluss gelangt bin, Lionels Wünschen zu gehorchen. Unsere Scheidung ist also vom Tisch.“
Sie setzte sich auf. „Das kannst du nicht tun!“
„Es ist bereits geschehen“, entgegnete er. „In einem Jahr und einem Tag können wir erneut darüber reden. Aber inzwischen müssen wir das Beste daraus machen.“
„Es gibt kein ‚Bestes‘ daran“, rief sie. „Die Situation ist unmöglich.“
„Nicht, wenn wir im Vorfeld ein paar grundsätzliche Regeln aufstellen.“
„Die natürlich von dir stammen.“
„Ich versuche lediglich, vernünftig zu sein. Außerdem habe ich nicht die Absicht, die nächsten zwölf Monate ein Schattendasein zu führen, um deine Gefühle zu schonen. Mein Exil ist vorbei. Dies ist mein Heim, und ich werde hier leben.“
„Gut.“ Joanna nickte. „Dann hast du gewiss nichts dagegen, wenn ich ins Larkspur Cottage übersiedle.“
„Dem kann ich nicht zustimmen. Die Bedingungen im Testament verlangen, dass du ebenfalls hier wohnst.“
Sie biss sich auf die Lippe. „Wir könnten uns in diesem Punkt doch sicher privat einigen, oder?“
„Die Klauseln sind mittlerweile allgemein bekannt. Wir sind dazu verdammt, unter einem Dach zu leben – allerdings nicht für die Ewigkeit.“
„Ohne mich! Zufällig hatte ich bereits eigene Pläne gemacht. Ich habe nicht mit einer Erbschaft in dieser Höhe gerechnet und brauche sie auch nicht. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich selbst.“
„Und wie?“
„Ich habe mich als Haushälterin beworben“, erklärte sie trotzig.
„Bist du nicht ein bisschen jung dafür?“
„Ich habe dieses Haus in den letzten beiden Jahren
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