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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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dem Tal. Der steile Felsabhang, der brandig rot ge wesen war, hatte sich jetzt purpurschwarz gefärbt und war wie ein Zebra mit vertikalen weißen Wasserfällen ge streift. Die Wolke schien noch dichter zu sein als die Erde, und an ihrem unteren Rand brach das letzte Sonnenlicht hervor und überflutete den Spinifex mit blaßgrünen Strahlen.
    »Ich weiß«, sagte Arkady. »Wie nirgendwo sonst auf der Welt.«
    In der Nacht goß es wieder in Strömen. Am nächsten Morgen, es war noch nicht hell, rüttelte er mich wach.
    »Wir müssen losfahren«, sagte er. »Schnell.«
    Er hatte die Wettervorhersage gehört. Es war schlimmeres Wetter im Anzug.
    »Müssen wir?« fragte ich schlaftrunken.
    »Ich muß«, sagte er. »Sie können bleiben, wenn Sie wollen.«
    »Nein«, sagte ich. »Ich komme mit.«
    Wir tranken Tee und machten den Wohnwagen sauber. Wir wischten die Schlammspuren vom Boden und schrieben Wendy und Rolf eine kurze Nachricht.
    Wir fuhren los, durch die Pfützen auf der Landebahn und weiter auf die Straße, die vom Mackay-See herunterkommt. Die Morgendämmerung war trüb und sonnenlos. Wir kamen auf dem Kamm eines Hügels an – und die Straße verschwand in einem See.
    »Nun«, sagte Arkady, »das war’s.«
    Es goß in Strömen, als wir nach Cullen zurückkamen. Rolf stand draußen vor dem Laden, in einem wasserdichten Poncho.
    »Ha!« Er warf mir einen drohenden Seitenblick zu. »Sie haben geglaubt, Sie könnten sich davonmachen, ohne sich zu verabschieden? Ich bin mit Ihnen noch nicht fertig. Noch nicht!«
    Arkady verbrachte den Rest des Morgens am Funktelefon. Der Empfang war schrecklich gestört. Alle Straßen nach Alice waren gesperrt und würden es mindestens zehn Tage bleiben. Im Postflugzeug gab es zwei Plätze – falls der Pilot bereit war, einen Umweg zu machen.
    Gegen Mittag kam die Nachricht, daß das Flugzeug eine Landung versuchen wollte.
    »Kommen Sie mit?« sagte Arkady.
    »Nein«, sagte ich. »Ich bleibe.«
    »Um so besser für Sie!« sagte er. »Passen Sie auf, daß die Kinder nicht an dem Landcruiser herumspielen.« Er stellte das Fahrzeug unter den Bäumen in der Nähe unseres Wohnwagens ab und gab mir den Schlüssel.
    In der Ambulanz bei Estrella war eine Frau mit einem Abszeß, die schreckliche Schmerzen hatte. Sie mußte ins Krankenhaus von Alice gebracht werden und brauchte meinen Platz im Flugzeug.
    Ein weiteres Unwetter schien hinter dem Mount Liebler heraufzuziehen, als die Menge einem schwarzen Fleck zuwinkte, der sich von Süden her näherte. Die Cessna setzte platschend auf der Landebahn auf, so daß der Rumpf mit schmutzigem Wasser bespritzt wurde, und rollte auf den Laden zu.
    »Nun macht schon!« brüllte der Pilot aus dem Cockpit.
    Arkady drückte mir die Hand. »Bis bald, Kamerad!« sagte er. »In ungefähr zehn Tagen, wenn alles gutgeht.«
    »Bis bald«, sagte ich.
    »Wiedersehen, kleines Monster«, sagte er zu Rolf. Dann geleitete er die stöhnende Frau zum Flugzeug.
    Sie hoben ab und verließen unmittelbar vor dem aufziehenden Unwetter das Tal.
    »Was ist es für ein Gefühl«, fragte Rolf, »hier bei mir festzusitzen?«
    »Ich werde es überleben.«
    Zum Mittagessen gab es Bier und ein Salamisandwich. Das Bier machte mich müde, daher schlief ich bis vier. Als ich wach wurde, machte ich mich daran, den Wohnwagen in ein Arbeitszimmer zu verwandeln.
    Es gab eine Sperrholzplatte, die über der zweiten Bettstelle zu einem Tisch heruntergeklappt werden konnte. Es gab sogar einen Drehstuhl. Ich stellte meine Schreibstifte in ein Wasserglas und legte mein Schweizer Armeemesser daneben. Ich packte ein paar Schreibhefte aus, und mit der zwanghaften Ordnungsliebe, die den Anfang eines Projektes begleitet, machte ich drei ordentliche Stapel aus meinen »Pariser« Notizbüchern.
    In Frankreich sind diese Notizbücher als carnets moleskines bekannt: »Moleskin« war in diesem Fall ihr schwarzer Wachstucheinband. Sobald ich nach Paris kam, kaufte ich Nachschub in einer papeterie in der Rue de l’Ancienne Comédie. Die Seiten waren kariert, und die Vorsatzblätter wurden mit einem Gummiband festgehalten. Ich hatte sie in Serien numeriert. Ich schrieb meinen Namen und meine Adresse auf die erste Seite und bot dem Finder eine Belohnung an. Einen Paß zu verlieren war das geringste aller Übel – ein Notizbuch zu verlieren war eine Katastrophe.
    In den rund zwanzig Jahren, in denen ich gereist bin, verlor ich nur zwei. Eins verschwand in einem afghanischen Bus. Das andere wurde von der

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