Traumpfade
Bororo-Peul – Rinderhirten in der Sahelzone – für einen Archäologen zurückließen, wenn sie von einem Lagerplatz aufbrachen.
Sie dachte einen Augenblick nach und antwortete dann: »Sie verstreuen die Asche ihrer Feuer. Nein! Ihr Archäologen würdet nichts finden. Aber die Frauen flechten kleine Kränze aus Grashalmen, die sie an die Zweige ihres Schattenbaums hängen.«
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Max Weber führt die Ursprünge des modernen Kapitalismus auf bestimmte Calvinisten zurück, die in Mißachtung der Parabel vom Kamel und dem Nadelöhr die Lehre vom gerechten Lohn der Arbeit predigten. Doch ist die Vorstellung vom Tausch und Vermehren des »Reichtums auf vier Beinen« so alt wie das Viehhüten selbst. Haustiere sind »Kurantgeld«, »Dinge, die rennen«, vom französischen courir. Tatsächlich stammen fast alle unsere Ausdrücke für Geld und Vermögen – Kapital, Aktien (stock), pekuniär, Hab und Gut (chattel), Sterling – und vielleicht sogar die Vorstellung von »Wachstum« als solchem aus der Welt der Hirten.
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Und im Triumph durch Persepolis reiten!
Ist es nicht ansehnlich, ein König zu sein, Techelles?
Marlowe, Tamerlan, 1. Teil, I, 758
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Persepolis, Fars
Wir gingen im Regen nach Persepolis. Die Quashgais waren durchnäßt und glücklich, und die Tiere waren durchnäßt; und als der Regen nachließ, schüttelten sie das Wasser von ihren Umhängen und zogen weiter, als tanzten sie. Wir kamen an einem Obstgarten vorbei, der von einer Lehmmauer umgeben war. Es duftete nach Orangenblüten nach dem Regen.
Ein Junge ging an meiner Seite. Er und ein Mädchen tauschten einen glühenden Blick. Sie ritt hinter ihrer Mutter auf einem Kamel, aber das Kamel war schneller als wir.
Etwa drei Meilen vor Persepolis kamen wir zu ein paar riesigen gewölbten Zelten, die gerade aufgebaut wurden und in die der Schah-in-schah drittklassige fürstliche Persönlichkeiten zu seiner Krönung im Juni eingeladen hatte. Die Zelte waren von dem Pariser Dekorationshaus Jansen entworfen worden.
Jemand schrie etwas auf französisch.
Ich versuchte, den Quashgai-Jungen zu einem Kommentar zu bewegen oder auch nur zu einem Blick auf die Zelte. Doch er zuckte nur die Achseln und sah in die andere Richtung – und so gingen wir weiter nach Persepolis.
Als wir durch Persepolis kamen, blickte ich auf die kannelierten Säulen, die Säulengänge, Löwen, Bullen, Greifen, den glatten, metallisch glänzenden Verputz des Steins und die vielen Zeilen einer größenwahnsinnigen Inschrift: »Ich … Ich … Ich … Der König … Der König … verbrannte … erschlug … gründete …«
Meine Sympathien galten Alexander, weil er die Stadt in Brand gesteckt hatte.
Wieder versuchte ich den Quashgai-Jungen zum Hinsehen zu bewegen. Wieder zuckte er die Achseln. Persepolis hätte, was ihn betraf, aus Streichhölzern erbaut sein können – und so setzten wir unseren Weg in die Berge fort.
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Pyramiden, Bögen, Obelisken waren nichts als die Vergehen von Prahlerei und wilde Ungeheuerlichkeiten alten Großmuts.
Sir Thomas Browne, Urne Buriall
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London
Franco S., zum erstenmal seit dem Sturz des Schahs aus dem Iran zurückgekehrt, sagt, eine der Begleiterscheinungen von Khomeinis Revolution sei, daß die Quashgais ihre Kraft und Beweglichkeit wiedergefunden hätten.
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Die Tradition der Pyramide steht der Tradition des Lagerfeuers gegenüber.
Martin Buber, Moses
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Bevor er sich bei den Nürnberger Parteitagen an die Massen wandte, ging der »Führer« in einer unterirdischen Kammer, die dem Grab in der Großen Pyramide nachgebildet war, mit sich zu Rate.
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»Sieh! Ich habe einen Schädel oben auf die Pyramide gemalt.«
»Warum hast du das getan, Sedig?«
»Ich male gern unheimliche Dinge.«
»Was hat der Schädel auf der Pyramide zu suchen?«
»Ein Riese ist darin begraben, und sein Schädel schaut hervor.«
»Was hältst du von dem Riesen?«
»Er ist böse.«
»Warum?«
»Weil er Menschen frißt.«
Gespräch mit Sedig el Fadil el Mahdi, sechs Jahre alt
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Jahwes Abscheu vor behauenem Stein: »Und so du mir einen steinernen Altar willst machen, sollst du ihn nicht von gehauenen Steinen bauen; denn wo du mit deinem Messer darüber fährst, so wirst du ihn entweihen.«
Exodus 20,25
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… Und niemand hat sein Grab erfahren bis auf den heutigen Tag.
Deuteronomium 34,6
Im letzten Mondlicht heult ein Hund und verstummt. Der Flammenschein flackert, und der Wächter gähnt. Ein sehr alter Mann geht lautlos hinter den
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