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Traumreisende

Traumreisende

Titel: Traumreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
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sich an nichts erinnern, nicht einmal daran, wie er wieder nach Florida zurückgekommen war. Er kannte die toten Männer nicht, aber auch sonst kannte sie niemand. Selbst das Gericht konnte sie nicht identifizieren und bezeichnete sie als John Doe Nummer eins und John Doe Nummer zwei. Das Blut auf seiner Hose und seinem Hemd entsprach dem der beiden John Does. Man nahm an, dass er sie getötet hatte. Er wusste es nicht. Sein Kopf war vollkommen leer.
    Er machte sich nicht die Mühe, die Behörden bezüglich des Namens Jeff Marsh zu korrigieren. Irgendwo war er in den vergangenen Jahren verhaftet worden und hatte den Beamten anscheinend diesen Namen genannt. Er hatte nichts dagegen. Ihm war es gleich, wie er hieß. Er hatte kein Geld für einen Anwalt, und man stellte ihm einen Pflichtverteidiger, der ihm riet, sich schuldig zu bekennen.
    Wenn er das täte, behauptete der Anwalt, werde das Urteil wahrscheinlich milder ausfallen, als wenn der Fall vor einem Schwurgericht verhandelt würde und man ihn für schuldig befände. Geoff wusste nichts über das Gesetz und vertraute seinem Anwalt. Er bekannte sich schuldig und erhielt die Höchststrafe: Er wurde zum Tode verurteilt.
    Für Geoff Marshall war die erste Tür seines Lebens zugefallen, als er weniger als vierundzwanzig Stunden alt gewesen war. Die zweite hatte sich geschlossen, als er sieben Jahre alt war und von allem abgeschnitten wurde, was er je gekannt hatte.
    Und nun, als er vierundzwanzig war, fiel die dritte Tür - diesmal aus Stahl - mit lautem und endgültigem Knall zu. Er war zum Häftling 804781 geworden und verurteilt, den Rest seines Lebens hinter Gefängnismauern zu verbringen.
    Er bekam Gefängniskleidung. Als er den langen Gang hinunterging, sein Kissen, seine Decke und sein Handtuch tragend, hörte er Pfiffe und Rufe aus den Zellen der Männer in den Etagen über und unter ihm. Er versuchte, Schwierigkeiten zu vermeiden, aber der Entzug von Alkohol und Drogen bewirkte, dass sein Verstand ihm einen Streich spielte. Zwei Tage lang krallte er sich an nichtexistierende Gegenstände. Schließlich, am dritten Tag seiner Inhaftierung, steckte man ihn in Einzelhaft. Als er zwei Wochen später wieder auftauchte, war sein Kopf klar, aber die Probleme waren noch immer da.
    Er passte in keine der Gruppen, die sich in der Anstalt gebildet hatten. Es gab Cliquen nur aus Weißen, Afro-Amerikanern, Lateinamerikanern, gebürtigen Amerikanern und Asiaten, die sich von den anderen abschotteten, und innerhalb dieser Cliquen gab es noch Untergruppen mit verschiedenen religiösen Überzeugungen. Für einen Aborigine war da kein Platz. Er wurde zur Zielscheibe der Aggressionen aller, die Lust hatten, »jemandem das Licht auszublasen«.
    Gegen Ende seines ersten Monats sprang ihn in der Gemeinschaftsdusche jemand von hinten an und hielt ihm - mit dem Arm um seinen Hals - den Kopf fest. Ein anderer Mann spuckte ihm ins Gesicht. Als der nach Knoblauch stinkende Speichel ihm über die Wange lief, bekam er einen Schlag, der ihm den Atem raubte. Er fiel auf die Knie, als ein weiterer Schlag in die rechte Niere traf. Der Tritt kam von einem Stiefel mit Stahlkappe und wurde geduldet, weil zwei Wächter bestochen worden waren. Geoff verlor das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, floss ihm Blut aus Mund und Nase und aus einer tiefen Wunde auf dem Kopf. Er taumelte auf den Gang, wo ein Wächter ihm einen Blick zuwarf und sagte, er solle sich anziehen. Als er das zweite Mal zu sich kam, fragte man ihn, ob er einen Arzt haben wolle. Das Blut floss noch immer aus der offenen Kopfwunde. Er nickte.

    Nach diesem Ereignis war er auf der Hut vor jeder Bewegung um sich herum. Er erwarb sich den Ruf, ein Einzelgänger zu sein. Er musste gegen andere kämpfen und kam immer wieder in Einzelhaft, bis er schließlich als jemand galt, der bösartig wäre und den man am besten in Ruhe ließe. Die Sonne ging auf und schien über Beatrices rechte Schulter. Sie war also nach kurvenreichen Straßen, an-und absteigenden Hügeln, Wohnvierteln und später auch Industriegebieten noch immer in nördlicher Richtung unterwegs.
    In der Nähe eines Highways zeigte ein blau-weißes Emailschild an, dass in Entfernungen von 20, 80, 120 und 250 Kilometern vier Städte lägen. Autos zischten an ihr vorbei, aber sie schaute nicht auf. Obwohl ihr Blick nach unten gerichtet war, war sie nicht so sehr in Gedanken vertieft, wie es den Anschein hatte.
    Tatsächlich war ihr Kopf leer. Sie befand sich in einer Art

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