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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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die andere eine Daumenbreite neben dem Bauchnabel. Unter dem Strich, sagte er, habe er Glück gehabt. Er hatte Freunde, die Arme, Beine oder Augen verloren hatten, Freunde, deren Gesicht verbrannt worden war. Sie hätten es für ihr Land getan, sagte Baba jan, und sie hätten es für Gott getan. Denn genau darum gehe es im Dschihad. Um Opfer. Man opfere Gliedmaßen und Augenlicht, sogar sein Leben, und man tue es gern. Der Dschihad sichere einem auch gewisse Rechte und Privilegien, sagte er, denn wer die größten Opfer gebracht habe, werde von Gott reichlich belohnt.
    Sowohl in diesem als auch im nächsten Leben , sagte Baba jan und deutete mit einem seiner kräftigen Finger zuerst nach unten, dann nach oben.
    Wenn Adel die Fotos betrachtete, wünschte er sich, damals, während jener aufregenden Jahre, an der Seite seines Vaters gekämpft zu haben. Er stellte sich gern vor, wie er mit seinem Baba jan russische Hubschrauber abschoss, Panzer in die Luft jagte, vor Beschuss in Deckung ging, in den Bergen lebte und in Höhlen schlief. Vater und Sohn als Kriegshelden.
    Ein großes, gerahmtes Foto zeigte seinen lächelnden Baba jan neben Präsident Karzai im Arg , dem Präsidentenpalast in Kabul. Es war erst kürzlich während einer kleinen Zeremonie aufgenommen worden, bei der Baba jan für sein humanitäres Engagement in Shadbagh-e-Nau geehrt worden war. Baba jan hatte diese Ehrung mehr als verdient. Die Mädchenschule war nur das neueste von vielen Projekten. Adel wusste, dass immer wieder Frauen während der Geburt gestorben waren, aber das war jetzt vorbei, weil sein Vater eine große Klinik mit zwei Ärzten und drei Hebammen eröffnet hatte, deren Gehälter er aus eigener Tasche bezahlte. In dieser Klinik konnten sich alle Stadtbewohner unentgeltlich behandeln lassen; jedes Kind in Shadbagh-e-Nau wurde jetzt geimpft. Baba jan hatte Teams losgeschickt, die in der Stadt nach Wasserstellen gesucht und Brunnen gebohrt hatten. Und auf Betreiben Baba jans wurde Shadbagh-e-Nau jetzt endlich rund um die Uhr mit Strom versorgt. Über ein Dutzend Geschäfte verdankten ihre Eröffnung einem Darlehen Baba jans, und Adel hatte von Kabir erfahren, dass diese Darlehen nur selten zurückgezahlt wurden.
    Adel hatte ehrlich gemeint, was er zur Lehrerin gesagt hatte. Er wusste , dass er sich glücklich schätzen konnte, der Sohn eines solchen Mannes zu sein.
    Das allgemeine Händeschütteln ging zu Ende, da sah Adel, wie ein schmächtiger Mann auf seinen Vater zustrebte. Der Mann trug eine runde Brille mit Drahtgestell und einen kurzen, grauen Bart, und seine kleinen Zähne erinnerten an abgebrannte Streichholzköpfe. Ihm folgte ein Junge, ungefähr so alt wie Adel, dessen große Zehen aus Löchern in den Turnschuhen hervorlugten. Seine Haare waren so verfilzt, dass sie am Kopf zu kleben schienen, seine Jeans stand vor Dreck und war außerdem zu klein. Das T-Shirt reichte dagegen fast bis zu den Knien.
    Kabir stellte sich zwischen den alten Mann und Baba jan. »Ich habe dir schon gesagt, dass dies kein guter Zeitpunkt ist«, sagte er.
    »Ich möchte nur kurz mit dem Kommandanten reden«, erwiderte der Alte.
    Baba jan ergriff Adel beim Arm und setzte ihn hinten in den Land Cruiser. »Wir fahren los, mein Sohn. Deine Mutter wartet schon.« Er stieg neben Adel ein und schloss die Tür.
    Während das getönte Fenster nach oben glitt, sah Adel, dass Kabir irgendetwas zu dem alten Mann sagte, doch er konnte die Worte nicht verstehen. Danach ging Kabir vorne um den SUV und setzte sich hinter das Steuer. Bevor er den Motor anließ, legte er die Kalaschnikow auf den Beifahrersitz.
    »Was wollte der Mann?«, fragte Adel.
    »Nichts Besonderes«, antwortete Kabir.
    Sie bogen auf die Straße ab. Ein paar Jungen aus der Menge rannten hinter dem Land Cruiser her, bis dieser beschleunigte. Kabir blieb auf der geschäftigen Hauptstraße, die mitten durch Shadbagh-e-Nau führte, und schlängelte sich hupend durch den dichten Verkehr. Alle wichen aus. Einige winkten. Adel betrachtete die von Menschen wimmelnden Bürgersteige auf beiden Straßenseiten, sein Blick blieb an vertrauten Dingen hängen und glitt wieder ab: Tierkadaver, die beim Fleischer an Haken hingen; Schmiede, die Holzräder und Blasebälge bedienten; Obsthändler, die Fliegen von Trauben und Kirschen vertrieben; der Barbier, der sein Rasiermesser an einem Lederriemen abzog. Sie kamen an Teehäusern, Kabob-Läden, einer Autowerkstatt und einer Moschee vorbei, und dann lenkte Kabir das

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