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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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etliches zu verschütten. Er versuchte sich wieder aufzusetzen, aber sein Ellbogen rutschte unter ihm weg, und er blieb bewegungslos liegen, gab sich nicht länger Mühe zu sprechen. Schlanges Geduld war nun erschöpft.
    »Warum bist du so oft von einer Traumschlange gebissen worden?«
    Er sah sie an; seine hellen, blutunterlaufenen Augen blickten ruhig drein.
    »Weil ich ein guter, nützlicher Lieferant war und ich die zerstörte Kuppel mit vielen wertvollen Dingen versorgte. Ich bin oft belohnt worden.«
    »Belohnt?«
    Seine Miene nahm einen gelösten Ausdruck an. »O ja.« Seine Augen verloren den Brennpunkt ihres Blicks; er schien durch Schlange hindurchzusehen. »Mit Glück und Vergessen und den Erlebnissen von Träumen.« Er schloß die Augen und ließ sich kein Wort mehr entlocken, auch nicht, als Schlange ihn kräftig schubste.
    Sie ging hinüber zu Melissa, die auf der anderen Seite des Lagers ein paar trokkene Zweige gefunden hatte und nun vor einem winzigen Feuerchen saß, wo sie darauf wartete, daß man ihr erzählte, was sich abspielte.
    »Jemand besitzt eine Traumschlange«, sagte Schlange. »Man benutzt ihr Gift als Freudendroge.«
    »Wie dumm«, meinte Melissa. »Warum nehmen sie nicht irgend etwas von dem Zeug, das auf der Erde wächst? Es gibt verschiedenerlei Pflanzen, die sich dafür eignen.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Schlange. »Ich weiß selbst nicht, wie das Gift wirkt. Aber ich will wissen, woher sie die Traumschlange erhalten haben. Von einem Heiler kann sie nicht stammen. Jedenfalls hätte ein Heiler sie nicht freiwillig herausgegeben.«
    Melissa rührte im Eintopf. Der Feuerschein verlieh ihrem roten Haar einen goldenen Glanz.
    »Schlange«, sagte sie schließlich, »in dem Kampf, den du mit ihm hattest, bevor du an dem Abend zum Stall kamst – da hätte er dich umgebracht, wäre es ihm möglich gewesen. Heute hätte er mich umgebracht, wäre es gegangen. Wenn er ein paar Freunde hat, und alle nehmen sich vor, gemeinsam einem Heiler die Traumschlange zu rauben...«
    »Das ist mir klar.«
    Heiler um ihrer Traumschlangen willen ermordet? Ein Gedanke, den bloß ernsthaft zu erwägen schon schwerfiel. Schlange scharrte mit einem scharfkantigen Kiesel einander kreuzende Striche in den Erdboden; ein Muster ohne Sinn.
    »Das ist beinahe die einzige vernünftige Erklärung.«
    Sie aßen. Der Verrückte schlief zu fest, um zu essen oder gefüttert werden zu können, doch lag er alles andere als im Sterben, entgegen seiner Behauptung. In der Tat war er unter dem Schmutz und seinen Lumpen erstaunlich gesund; er war klapperdürr, aber seine Muskeln befanden sich in einwandfreier Verfassung, und seine Haut wies keinerlei Anzeichen von Unterernährung auf. Er war ohne Frage sehr stark. Doch darum drehte es sich ja hier, vergegenwärtigte sich Schlange, deshalb führten Heiler ja Traumschlangen mit sich. Ihr Gift tötete nicht, und es schobden Tod auch nicht auf. Vielmehr erleichterte es lediglich den Übergang vom Leben zum Tode und half dem Sterbenden, dem unausweichlichen Ende gefaßt entgegenzusehen. Ließ man ihm nur genügend Zeit, konnte der Verrückte sich zweifellos ins Sterben hineinsteigern. Aber Schlange hegte. nicht die Absicht, ihn gewähren zu lassen, bevor sie nicht wußte, woher er kam und was dort für Zustände herrschten. Ebensowenig hatte sie die Absicht, die ganze Nacht lang schichtweise mit Melissa auf ihn achtzugeben. Sie brauchten beide anständigen Schlaf.
    Die Arme des Verrückten waren so schlaff wie die zerlumpten Ärmel der Robe, die sie umhüllten. Schlange hob seine Hände über seinen Kopf und band seine Handgelenke mit zwei Packgurten eines Sattels daran fest. Sie legte die Fesseln nicht rücksichtslos oder grausam an, nur fest genug, um zu gewährleisten, daß sie es hörte, falls er zu verschwinden versuchte. Der Abend war kühl geworden, und sie breitete eine Decke über ihn. Dann streckten sie und Melissa sich ebenfalls mit ihren Decken auf dem harten Untergrund aus und schliefen.
    Es mußte ungefähr Mitternacht sein, als Schlange erwachte. Das Feuer war erloschen, und das Lager befand sich inmitten pechschwarzer Finsternis. Schlange verharrte reglos und wartete auf die Geräusche, die mit dem Fluchtversuch des Verrückten einhergehen mußten. Melissa rief etwas im Schlaf. Schlange schob sich zu ihr hinüber, tastete in der Dunkelheit umher, berührte ihre Schulter. Sie setzte sich neben sie und streichelte ihr Haar, ihr Gesicht.
    »Es ist alles gut,

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