Traumschlange
schickte man auch die Schlangen. Doch von Jenneth hatten die Heiler nie etwas vernommen. Vielleicht hatte dieser Verrückte, der hier schlaff vor Schlange saß, sie irgendwo in einer finsteren Gasse überfallen und um ihrer Traumschlange willen getötet.
»Nun?« fragte Schlange in scharfem Ton. Der Verrückte fuhr zusammen. »Was?« Er blinzelte, bemühte sich, sie klar anzusehen. Schlange beherrschte sich.
»Woher kommst du?«
»Süden.«
»Aus welchem Ort?«
Ihre Karten verwiesen auf den Paß, aber auf nichts, was dahinter lag. Sowohl die Menschen in den Bergen wie auch die Wüstenbewohner besaßen gute Gründe, um die extremen südlichen Gegenden zu meiden.
Er zuckte mit den Schultern. »Keinem Ort. Da gibt‘s keine Ortschaften. Nur die zerstörte Kuppel.«
»Woher hattest du die Traumschlange?«
Er hob erneut die Schultern. Schlange sprang auf und packte seine schmutzige Robe. Sie zerrte ihn vorn an seiner Kleidung hoch.
»Antworte!«
Eine Träne sickerte ihm übers Gesicht. »Wie soll ich denn? Ich verstehe dich nicht. Woher ich sie hatte? Ich hatte doch nie eine. Es waren immer welche dort, aber es waren nicht meine. Sie waren dort, wenn ich hinging, und sie waren noch dort, wenn ich fortging. Warum hätte ich deine haben wollen, hätte ich selber ein paar?«
Langsam lockerte Schlange den Zugriff ihrer Finger, und der Verrückte sackte wieder zusammen.
»Gleich ›ein paar‹?«
Er streckte ihr die Hände entgegen, ließ die Ärmel auf seine Ellbogen herabrutschen. Auch seine Unterarme zeigten die Narben von Schlangenzähnen, an der Innenseite der Ellbogen, an den Handgelenken, überall dort, wo die Adern hervortraten.
»Am besten ist es, wenn sie an allen Stellen zugleich zubeißen«, erläuterte er verträumt. »In die Kehle, das geht schnell und wirkt bestimmt, das reicht im Notfall, wenn man‘s eilig hat. Mehr gewährt North gewöhnlich nicht. Aber an allen Stellen gleichzeitig, das gewährt er, wenn man ihm einen besonderen Gefallen getan hat.«
Der Verrückte zog die Schultern ein und rieb sich die Arme, als würde er frieren. Aus Erregung errötete er, schneller und kräftiger massierte er sich die Arme.
»Dann fühlt man sich, man fühlt sich..., alles wird licht, man entbrennt, alles ist lichterloh..., es dauert an, es dauert lange...«
»Halt den Mund!«
Er ließ seine Hände sinken und schaute sie aus wieder stupider Miene an.
»Was?«
»Dieser North – er hat Traumschlangen?«
Eifrig nickte der Verrückte, während die Erinnerung ihn erneut in Erregung versetzte.
»Viele?«
»Eine ganze Schlangengrube. Manchmal läßt er jemanden zur Belohnung hinunter.., aber mich nicht, nicht wieder seit dem ersten Mal.«
Schlange setzte sich, ihre Augen auf den Verrückten gerichtet, doch ohne ihn zu betrachten, denn sie stellte sich diese zierlichen Kreaturen vor, wie sie in einem Loch gefangensaßen, ungeschützt den Elementen ausgesetzt.
»Woher bekommt er sie? Treiben die Stadtbewohner mit ihm Handel? Hat er Verbindungen zu den Fremdweltlern?«
»Woher er sie bekommt? Sie sind eben da. North hat sie.«
Schlange bebte nun nicht weniger als der Verrückte. Sie preßte ihre Hände auf die Knie, alle Muskeln verkrampft, dann entspannte sie sich langsam. Ihre Hände beruhigten sich.
»Er ist auf mich sauer geworden«, sagte der Verrückte, »und hat mich hinausgeworfen. Mir ging‘s so elendig... dann hörte ich von einer Heilerin, und ich zog los, um dich zu suchen, aber du warst nirgends zu finden, und du hattest die Traumschlange...« Seine Stimme nahm einen schrillen Tonfall an, während er immer schneller sprach. »Die Leute jagten mich fort, aber ich folgte dir, ich folgte und folgte dir, bis du wieder in die Wüste hinausgeritten bist, und da konnte ich nicht mithalten, ich konnte es einfach nicht, ich versuchte, mich auf den Heimweg zu machen, aber ich konnte einfach nicht länger, ich konnte nichts mehr bringen, und da legte ich mich bloß so hin, um zu sterben, aber das konnte ich auch wieder nicht. Warum seid ihr jetzt zurückgekommen, wenn ihr keine Traumschlange habt? Warum habt ihr mich nicht sterben lassen?«
»Du wirst vorläufig nicht sterben«, sagte Schlange. »Du wirst auf jeden Fall weiterleben, bis du mich zu North und den Traumschlangen geführt hast. Danach soll es deine Angelegenheit sein, ob du lebst oder stirbst.«
Der Verrückte starrte sie an.
»Aber North hat mich doch weggeschickt.«
»Du brauchst ihm nicht länger zu gehorchen«, sagte Schlange.
Weitere Kostenlose Bücher