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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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»Da er dir ohnehin nicht geben will, was du möchtest, besitzt er nicht länger irgendwelche Macht über dich. Deine einzige Chance besteht darin, daß du mir hilfst, an eine Anzahl der Traumschlangen zu gelangen.«
    Der Verrückte stierte sie für geraume Zeit an und blinzelte, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. Plötzlich heiterte sich seine Miene auf. Sein Gesicht zeigte einen gelösten, freudigen Ausdruck. Er wollte sich Schlange nähern, stolperte jedoch, kroch daraufhin. An ihrer Seite, auf seinen Knien, ergriff er ihre Hände. Seine Fäuste waren dreckig und schwielig. Dem Ring, der Schlanges Stirn aufgerissen hatte, fehlte ein Stein.
    »Du meinst, du willst mir helfen, damit ich eine eigene Traumschlange bekomme?« Er lächelte. »Ganz für mich allein?«
    »Ja«, sagte Schlange aus zusammengebissenen Zähnen. Sie entzog dem Verrückten ihre Hände, als er den Kopf neigte, um ihre Handrücken zu küssen. Nun hatte sie es ihm versprochen, und obwohl sie wußte, daß es nur diesen Weg gab, um ihn zur Mitwirkung zu veranlassen, war ihr zumute, als habe sie eine schreckliche Sünde begangen.
     

11
    Auf die hervorragend ausgebaute Straße nach Berghausen schien trübe der Mond herab. Arevin ritt bis spät in den Abend, so tief versunken in seine Gedanken, daß es ihm nicht auffiel, als der Sonnenuntergang die Helligkeit des Tages mit Zwielicht und Düsternis verdrängte. Die Niederlassung der Heiler lag bereits einige Ta-gesreisen weit hinter ihm im Norden, aber er war noch niemandem begegnet, der irgend etwas über Schlange wußte. Berghausen war der letzte Ort, wo sie sein konnte, denn es gab nichts südlich Berghausens. Arevins Karten des Mittelgebirges bezeichneten im Süden lediglich einen Viehtreiberpfad und einen alten, so gut wie unbenutzten Paß nach Osten, sonst nichts. Auch Reisende aus den Bergen – ebenso wie jene in Arevins Heimat – wagten sich nicht in die südlichsten Landstriche ihrer Welt. Arevin versuchte, sich nicht die Frage zu stellen, was er anfangen solle, wenn er Schlange auch hier nicht fand. Er befand sich nicht hoch genug, um einen Ausblick auf die Wüste im Osten zu haben, und er war durchaus froh darüber. Solange er nicht aus der Ferne die Stürme losbrechen sah, durfte er sich einbilden, das ruhige Wetter dauere länger als gewöhnlich an.
    Er durchrundete eine weite Biegung, blickte auf, schirmte seine Laterne ab und blinzelte. Voraus waren Lichter: sanfte, gelbe Gaslichter. Die Ortschaft wirkte wie ein Korb voller Funken, über den Hang entleert, alle dicht nebeneinander hingesunken, bis auf einige wenige, die auf der Talsohle verstreut lagen. Obwohl Arevin schon mehrere Orte kannte, erstaunte es ihn immer wieder, wieviel Arbeit und Geschäftigkeit dort nach Anbruch der Dunkelheit noch anzutreffen war. Er beschloß, noch am Abend bis nach Berghausen zu reiten; vielleicht wußte er dann vor dem morgigen Tag bereits mehr über Schlange. Er raffte sich die Wüstenrobe enger um die Schultern, um sich gegen die Kälte des Abends zu schützen.
    Trotz guter Vorsätze nickte Arevin im Sattel ein und erwachte erst, als er die Hufe über Kopfsteinpflaster scheppern hörte. In diesem Viertel war alles still, also ritt er weiter, bis er in die Ortsmitte gelangte, wo es Gasthäuser und Vergnügungsstätten gab. Dort war es allerdings nahezu tag-hell, und die Leute benahmen sich, als sei es überhaupt nicht dunkel geworden. Durch den offenen Eingang einer Gaststube sah er eine Anzahl von Arbeitern singend in einer Runde sitzen, die Arme wechselseitig auf den Schultern; der Kontraalt klang ein wenig kontrastarm. Unmittelbar daneben befand sich ein Gasthof; Arevin zügelte sein Pferd und stieg ab. Thads Ratschlag, in Gasthöfen nachzufragen, war durchaus vernünftig, aber bisher wußte noch keiner der Wirte, mit denen Arevin mittlerweile gesprochen hatte, etwas über Schlanges Verbleib zu sagen.
    Er betrat die Gaststube. Die Sänger übertönten ihre Begleitmusik – oder welche Melodie die Flötenspielerin in der Ecke auch zu spielen versucht hatte – ohne Mühe. Die Flötenspielerin senkte ihr Instrument auf ihre Knie und nahm einen irdenen Krug, trank daraus: Bier, erkannte Arevin. Der angenehme, hefige Geruch erfüllte die gesamte Stube. Die Sänger stimmten ein anderes Lied an, doch urplötzlich klappte dem Kontraalt der Mund zu, und er starrte Arevin an.
    Einer der Mitsänger starrte seinerseits verwundert dem Kontraalt ins Gesicht. Nach und nach verstummte der Gesang, während

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