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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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weiß es nicht«, sagte Melissa leise und matt. Ihre Arme lösten sich von Schlanges Hals und rutschten schlaff herab. »Ich weiß es nicht. Vielleicht. «
    »Melissa, so habe ich es nicht gemeint. Es tut mir leid, ich habe es doch nicht ernst gemeint...« Aber Melissa war eingeschlafen oder wieder besinnungslos.
    Schlange hielt sie in den Armen, bis die letzte Helligkeit dahin war; sie hörte die Schuppen von Traumschlangen über die feuchten, glitschigen Steine gleiten. Erneut bildete sie sich ein, sie kämen massenweise in einer aggressiven Woge von Schlangenleibern heran. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie vor Schlangen Furcht. Sie streckte einen Arm aus, als die leisen Geräusche näherzurücken schienen, um über den kahlen Felsboden zu tasten und sich zu beruhigen, und da griff sie prompt in ein Knäuel von Schlangen, berührte geschmeidige Schuppen, sich windende Körper. Ihre Hand zuckte zurück, als sie eine ganze Anzahl von Bissen spürte, die an verschiedenen Stellen stachen und brannten. Die Traumschlangen suchten Wärme, aber wenn sie ihnen gewährte, wonach sie trachteten, mußten sie auch Melissa finden. Sie wich in den äußersten Winkel des schmalen Endes der Felsspalte zurück. Ihre taube Hand schloß sich unwillkürlich um einen schweren Brocken scharfkantigen vulkanischen Gesteins. Sie hob ihn ungeschickt hoch, um ihn auf die wilden Traumschlangen zu schmettern. Aber dann senkte sie ihre Hand und zwang ihre verkrampften Finger, sich zu lockern.
    Der Stein fiel mit Geschepper zwischen andere Steine. Eine Traumschlange kroch über Schlanges Handgelenk. Sie war so wenig dazu imstande, sie zu töten, wie sie die Fähigkeit besaß, auf der kalten, stickigen Luft aus der Felsspalte zu schweben. Nicht einmal für Melissa. Eine heiße Träne rann über ihre Wange. Als sie ihr Kinn erreichte, war sie bereits eiskalt. Es waren zu viele Traumschlangen, um Melissa vor ihnen behüten zu können, aber North hatte recht. Schlange konnte sie nicht töten.
    Verzweifelt raffte sich Schlange auf, an die Felswand gestützt, und klemmte sich in den engen Winkel. Melissa war für ihr Alter klein und noch immer sehr dünn, aber ihr schlaffer Körper schien unendlich schwer zu sein. Schlanges kalte Hände waren zu taub, um fest zuzugreifen, und sie spürte kaum den kahlen Felsboden unter ihren bloßen Füßen. Aber sie fühlte, wie sich Traumschlangen um ihre Knöchel wanden. Melissa drohte ihrem Halt zu entgleiten, und Schlange packte hastig mit der Rechten zu. Schmerz schoß durch ihre Schulter und bis in ihre Wirbelsäule. Aber es gelang ihr, zwischen den beiden zusammenlaufenden Felswänden aufrecht zu bleiben und Melissa hoch über den Schlangen zu halten.
     

12
    Am dritten Tag seines Ritts nach Süden lagen Berghausens kultivierte Felder und hübschen Häuser weit hinter Arevin. Die Straße war längst in einen gewöhnlichen Pfad übergegangen, der dem Auf und Nieder der Höhenzüge folgte, nun verhältnismäßig geradlinig durch ein Tal führte, dann gewunden durch Geröllhalden.
    Er kam in eine höhergelegene, wildere Gegend. Arevins unerschütterliches Pferd stapfte gleichmütig dahin. Den ganzen Tag lang war er niemandem begegnet, aus keiner Richtung war jemand gekommen. Jeder, der nach Süden reiste, hätte ihn leicht überholen können; jeder, der diesen Pfad besser kannte, jeder mit einem Ziel hätte ihn ohne weiteres eingeholt. Aber er begegnete niemandem.
    Er fror in der kühlen Bergluft, fühlte sich von den Felsenhängen der Berge und den düsteren Bäumen eingeschlossen und bedrückt. Ihm entging nicht die Schönheit der Landschaft, aber er war die Schönheit der trockenen Ebenen und Plateaus seiner Heimat gewöhnt. Er empfand Heimweh, aber er konnte nicht heimkehren. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, daß die Stürme in der östlichen Wüste stärker waren als in der Westwüste, doch der Unterschied war lediglich mengenmäßig bedeutsam; in der Westwüste tötete ein Sturm ungeschützte Lebewesen innerhalb von zwanzig Atemzügen, wogegen in der Ostwüste zehn genügten. Er mußte bis zum Frühjahr in den Bergen bleiben.
    Er war außerstande zum untätigen Warten, ob nun in der Niederlassung der Heiler oder in Berghausen. Wenn er nichts unternahm und nur wartete, würde seineVorstellungskraft seine Überzeugung verdrängen, daß Schlange noch lebte. Und wenn er zu glauben begann, daß sie tot sei, wäre das gefährlich; nicht nur für seinen Geist, sondern auch für Schlange. Arevin wußte,

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