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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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empfand ein Schwindelgefühl. Aus Sorge, sie könne in Panik geraten, atmete sie einige Male langsam und tief, die Augen geschlossen. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, weil sie wußte, daß North in jedem Moment wieder aufkreuzen mochte. Ohne Zweifel lag ihm daran, ihren Anblick zu genießen, wenn sie wach war, da er anscheinend der Auffassung war, er habe ihre Abwehrkräfte überwunden und dem Traumschlangengift zur gewohnten Wirkung verholfen. In seinem Haß war er von dem Wunsch besessen, sie kriechen zu sehen wie den Verrückten, sie bitten und betteln zu sehen, bis er ihrem Wunsch nachgab, und je-desmal, wenn er es tat, müßte sie noch schwächer werden. Es lief ihr kalt den Rükken hinab, und sie schlug die Augen auf. Sobald er erst einmal die tatsächliche Wirkung des Gifts auf sie herausgefunden hatte, würde er versuchen, sie auf diesem Wege zu töten, wenn es sich machen ließ. Schlange setzte sich hin und wickelte Melissas Kopftuch von ihrer Schulter. Der Stoff war vom Blut verkrustet und steif, und unmittelbar auf der Haut mußte sie ihn unter Zuhilfenahme von Wasser ablösen. Aber auf der Wunde war dicker Schorf, und sie fing nicht wieder zu bluten an. Sauber war die Wunde nicht gerade: Schmutz und Sandkörner steckten darin und würden, falls sie nichts dagegen tat, auch in der Narbe bleiben. Doch eine Entzündung war ausgeschlossen, und sie hatte jetzt keine Zeit, um sich damit zu befassen. Sie riß aus dem Viereck des Kopftuchs zwei schmale Streifen und legte den Rest zu einem Sack zusammen. Fast in Reichweite lagen vier große Traum-schlangen träge auf den Steinen. Sie fing die Tiere ein, steckte sie in den Sack und schaute sich nach weiteren Exemplaren um. Die Schlangen, die sie schon hatte, waren zweifellos ausgewachsene Tiere, so groß waren sie, und vielleicht erzeugten ein oder zwei von ihnen gerade befruchtete Eier. Sie fing noch drei Traumschlangen hinzu, aber der gesamte Rest war allem Anschein nach verschwunden. Behutsam stelzte sie zwischen den Steinen umher und suchte nach Gelegen, entdeckte aber nichts. Sie fragte sich, ob sie die Kopulationen bloß geträumt oder sich sonst eingebildet hatte. Sie schienen so echt gewesen zu sein...
    Ob sie lediglich geträumt hatte oder nicht, es waren zuvor wesentlich mehr Traumschlangen in der Felskluft gewesen. Entweder waren ihre Löcher zu gut versteckt, um sie ohne genauere Suche bemerken zu können, oder North hatte alle anderen Schlangen herausgeholt.
    Eine Bewegung in Grün am Rand ihres Blickfelds ließ sie herumwirbeln. Sie griff nach der Traumschlange, und das Tier biß zu. Schlanges Hand zuckte zurück, und sie war froh, bei dieser Gelegenheit festzustellen, daß ihre Reflexe trotz allem, was sie nun hinter sich hatte, schnell genug waren, um den Zähnen auszuweichen.
    Sie fürchtete den Biß nicht; ihre Abwehrkräfte gegen das Gift mußten zur Zeit sogar besonders stark sein. Nach jedem Biß würde es beim nächsten Mal noch mehr Gift erfordern, um eine Wirkung zu erzielen. Aber sie verspürte keinerlei Lust nach einem nächsten Mal. Sie fing auch diese letzte, recht große Traumschlange, brachte sie bei den anderen im Sack unter, band das Behältnis mit einem der Stoffstreifen zu und befestigte es mit dem zweiten Streifen mit beträchtlichem Spielraum an ihrem Gürtel.
    Schlange sah nur einen Weg zur Flucht. Freilich gab es eine andere Möglichkeit, aber sie bezweifelte, daß man ihr genug Zeit ließ, daß sie sich aus der beachtlichen Menge herumliegenden Gerölls und Gesteins eine Rampe errichten konnte. Sie kehrte zurück an das andere Ende der Felsspalte, jene engste Stelle, an der die Felswände zusammenliefen, wo sie Melissa gehalten hatte.
    Etwas kitzelte sie am nackten Fuß. Sie schaute abwärts und sah den winzigen Traumschlangenschlüpfling davongleiten. Sie bückte sich und hob das Tierchen auf, sehr behutsam, um es nicht zu verstören. Das hornige Gewebe war abgefallen, und die Schuppen rings um das Mäulchen waren hellrosa. Später würden sie sich scharlachrot verfärben. Die kleine Schlange schmeckte mit der dreigezackten Zunge die Luft, stupste mit der Nase Schlanges Handfläche und wand sich um ihren Daumen. Schlange schob sie in die Brusttasche ihres Kleides; durch den Stoff spürte sie die schwachen Bewegungen des Winzlings. Das Tier war jung genug, um noch erfolgreich gezähmt werden zu können. Ihre Körperwärme lullte es ein.
    Schlange zwängte sich in den engen Winkel. Sie beugte sich rückwärts und

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