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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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nickte seinen beiden Anhängern zu. Als die beiden Männer sich Schlange näherten, versuchte sie sich aufzurichten, um ihnen den letzten Kampf zu liefern. Sie hatte sich erst auf ein Knie erhoben, als der Mann, den sie gebissen hatte, ihren rechten Arm packte und sie hochriß, erneut an ihrer Schulter zerrte. Der zweite Mann hob sie am anderen Arm auf die Beine. North beugte sich zu ihr herab, in der Hand eine Traumschlange.
    »Wie zuverlässig sind deine Abwehrkräfte, Heilerin? Bist du auch in dieser Beziehung überheblich?«
    Einer seiner Anhänger zwang Schlanges Kopf nach hinten und entblößte ihre Kehle. North war so groß, daß Schlange trotzdem zusehen konnte, wie er die Traumschlange an ihren Hals setzte. Die Giftzähne sanken in ihre Halsschlagader. Nichts geschah. Sie wußte, es würde nichts geschehen. Sie wünschte, North möge sich damit abfinden und sie in Ruhe lassen, es ihr erlauben, sich auf den kalten, scharfkantigen Steinen auszustrecken und zu schlafen, selbst wenn sie nicht wieder erwachen sollte. Sie war zu müde zum Kämpfen, zu erschöpft, um bloß zu reagieren, als Norths Anhänger seine Faust aus ihrem Haar nahm. Blut sickerte an ihrem Hals hinab zum Schlüsselbein. North hob eine andere Traumschlange auf und an Schlanges Kehle. Als dieses Tier zubiß, verspürte Schlange einen plötzlichen Schmerz, der sich von ihrem Hals aus durch den ganzen Körper ausbreitete. Sie keuchte auf, und als der Schmerz wich, zitterte sie.
    »Aha«, sagte North, »die Heilerin beginnt uns zu verstehen.«
    Er zögerte einen Moment lang, beobachtete sie: »Einmal vielleicht noch, ja«, sagte er.
    Als er sich nochmals über sie beugte, war sein Gesicht im Schatten, und das Laternenlicht erzeugte rings um seinen Schädel aus seinem feinen hellen Haar einen Heiligenschein. Die dritte Traumschlange lag als lautlose Schattengestalt in seinen Händen. Schlange stemmte sich rückwärts, und der Zugriff von Norths Anhängern um ihre Arme blieb unverändert. Die Männer, die sie festhielten, benahmen sich, als seien sie vom schwarzen Blick der Schlange hypnotisiert. Schlange warf sich nach vorn, und für einen Moment War sie frei, aber dann krallten sich klauenartige Finger in ihr Fleisch, und der Mann, den sie gebissen hatte, knurrte wütend. Er zerrte sie zurück, drehte ihr mit einer Hand den rechten Arm um und grub die Fingernägel seiner anderen Hand in ihre verletzte Schulter. North, der während des kurzen Gerangels zur Seite getreten war, kam nun wieder heran.
    »Warum willst du darauf bestehen, dich zu wehren, Heilerin? Genehmige dir ruhig das Vergnügen, das meine Tiere schenken.«
    Er hielt die dritte Traumschlange an ihre Kehle. Sie biß zu. Wie zuvor durchlief ein heftiger Schmerz Schlange, aber diesmal kehrte er, kaum gewichen, mit ihrem Pulsschlag als Woge der Pein wieder. Ein Aufschrei entfuhr Schlange.
    »Aha«, hörte sie North sagen. »Nun versteht sie uns.«
    »Nein...«‚ flüsterte sie. Dann jedoch schwieg sie, weil sie North die Befriedigung, sich an ihrer Qual zu weiden, vorenthalten wollte. Seine Anhänger gaben sie frei, und sie krümmte sich vornüber, versuchte sich mit der linken Hand abzustützen. Der Schmerz ließ diesmal nicht wieder nach. Vielmehr schwoll er an, hallte in den Abgründen ihres Körpers wie ein vielfaches Echo hin und her, verstärkte sich, pulsierte in Schwingungen. Schlange erbebte mit jedem Herzschlag. Während sie zwischen den schmerzhaften Wallungen um Atem rang, sank sie auf das kalte, harte Geröll nieder.
    Abgeschwächtes Tageslicht drang in die Felsspalte herab. Schlange lag noch so, wie sie hingefallen war, eine Hand vor sich ausgestreckt. Frost versilberte den zerfransten Saum ihres Ärmels. Ein dicker weißer Mantel von Eiskristallen bedeckte das Geröll am Grund der Felsspalte, kroch an den Seitenwänden empor. Von dem spitzenartigen Muster der Kristalle fasziniert, blieb Schlange ruhig liegen und ließ nur ihre Gedanken zwischen den zerbrechlichen kristallenen Farnen wandern.
    Während sie sie betrachtete, wurden sie plötzlich dreidimensional. Sie befand sich in einem vorzeitlichen Wald aus Moosen und Farnen, alles in Schwarz und Weiß. Da und dort durchliefen nasse Spuren die kunstvollen Kristallisationen, verliehen ihnen von neuem Zweidimensionalität, bildeten ein zweites, groberes Muster. Diese steindunklen Striche sahen aus wie Spuren von Traumschlangen, aber Schlange wußte natürlich genau, daß man in dieser Temperatur von Traumschlangen keine

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