Traumschlange
bemerkt.«
»Ich meine.., er stellt sich diese Narben vor, er empfindet so etwas als Verrat, er fühlt sich von seinem Körper im Stich gelassen...«
Brian breitete die Arme aus, nicht dazu in der Lage, die richtigen Worte zu finden. Es war nicht allzu ungewöhnlich, jemandem zu begegnen, der glaubte, er könne nicht erkranken; Schlange kannte sich mit schwierigen Patienten schon sattsam aus, die zu rasch, obwohl sie der Erholung bedurften, wieder zu den vorherigen Verhältnissen zurückkehren wollten, die sich zänkisch benahmen, wenn es sich als unmöglich erwies.
»Das gibt ihm nicht das Recht, Leute so zu behandeln, wie er es hält«, sagte Schlange. Brian betrachtete den Fußboden. »Er ist ein guter Mensch, Heilerin.«
Schlange bereute es, ihren Zorn – nein, ihren verletzten Stolz und Ärger – gezeigt zu haben und sprach in nachsichtigerem Ton weiter. »Bist du hier Leibeigener?«
»Nein! O nein, Heilerin, ich bin ein Freier! Der Bürgermeister duldet in Berg-hausen keine Leibeigenschaft. Leuteschinder, die mit Leibeigenen hier aufkreuzen, werden fortgeschickt, und ihre Leibeigenen können mit ihnen gehen oder ein Jahr lang für Berghausen arbeiten. Wenn sie bleiben, kauft der Bürgermeister den Eigentümern ihre Papiere ab.«
»Und so war es auch bei dir?«
Er zögerte, antwortete dann aber doch.
»Nicht viele wissen noch, daß ich einmal Leibeigener war. Ich gehörte zu den ersten, die man in Berghausen befreite. Nach einem Jahr zerriß er meine Papiere. Sie waren noch gültig für zwanzig Jahre, und fünf hatte ich schon abgedient. Bis dahin war ich mir nicht sicher, ob ich ihm trauen könne... oder überhaupt irgendwem. Aber ich konnte es.« Er hob seine Schultern. »Danach bin ich geblieben.«
»Ich verstehe, warum du ihm Dankbarkeit entgegenbringst«, sagte Schlange. »Aber das berechtigt ihn noch immer nicht dazu, dich am Tag vierundzwanzig Stunden lang herumzuscheuchen.«
»Ich habe in der Nacht geschlafen.«
»Auf einem Stuhl?«
Brian lächelte.
»Laß jemand anderes für eine Weile auf ihn achten«, sagte Schlange. »Komm mit mir.«
»Brauchst du irgendeine Unterstützung, Heilerin?«
»Nein, ich gehe hinunter zu den Ställen. Aber du solltest wenigstens ein Nickerchen machen, solange ich fort bin.«
»Danke, Heilerin. Aber ich bleibe lieber hier.«
»Wie du willst.«
Sie verließ das Hauptgebäude und überquerte den Hof. Es tat ihr gut, durch den kühlen Morgen zu gehen, auch wenn der Weg die haarnadelscharfen Windungen des steilen Pfads über die Klippe hinabführte. Unter ihr lagen die Weiden des Bürgermeisters ausgestreckt. Die graue Stute war auf einem grünen Feld allein und galoppierte hin und her, den Kopf hochgereckt, ihren Schweif emporgeworfen; am Zaun kam sie jedesmal steifbeinig zum Stehen und schnob, dann machte sie kehrt und lief in die entgegengesetzte Richtung. Hätte sie sich absetzen wollen, so wäre sie mühelos über die kaum brusthohe Einzäunung gelangt, aber sie lief lediglich aus spielerischem Vergnügen umher. Schlange folgte dem Trampelpfad zum Stallgebäude. Als sie sich näherte, vernahm sie ein Klatschen und einen Schrei, dann eine laute, wütende Stimme.
»Ran an deine Arbeit!«
Schlange lief die letzten paar Schritte und öffnete die Türflügel des Stalls. Drinnen herrschte nahezu Finsternis. Sie blinzelte. Sie hörte Stroh rascheln und roch den angenehm schweren Duft eines sauberen Pferdestalls. Einen Moment später gewöhnten sich ihre Augen an die Düsternis, und sie sah den breiten, mit Stroh ausgelegten Durchgang, die Reihen von Verschlägen an beiden Seiten und den Stallmeister, der sich nach ihr umdrehte.
»Guten Morgen, Heilerin.«
Der Stallmeister war ein fürchterlicher Mann, mindestens zwei Meter groß und von ungeheuer wuchtigem Körperbau. Sein lockiges Haar war rötlich, sein Bart blond. Schlange musterte ihn aufmerksam.
»Was war das für ein Lärm?«
»Lärm? Ich weiß nicht, was... Ach, ich habe nur den Freuden der Faulheit entgegengewirkt.«
Er mußte sich in der Tat sehr wirksamer Maßnahmen bedient haben, denn wer hier auch der Faulheit gefrönt haben mochte, nun war er nicht länger zu sehen.
»Um diese Morgenstunde kommt mir Faulheit gar nicht so übel vor«, meinte Schlange.
»Na ja, wir stehen hier eben früh auf.«
Der Stallmeister führte sie in den Hintergrund des Baus.
»Hier habe ich deine Tiere untergebracht. Die Stute ist draußen, um sich ein bißchen zu tummeln, aber das Pony habe ich drinnen
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