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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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blieb.
    »Gabriel, was für eine Ausbildung hast du denn eigentlich genossen? Als man dich untersuchte – wie lange konntest du da die Abweichung der Körpertemperatur aufrechterhalten? Ist dir ein Anzeiger ausgehändigt worden? «
    »Was für eine Art von Anzeiger?«
    »Eine kleine Scheibe mit einer Chemikalie im Innern, die mit der Temperaturverschiebung ihre Farbe wechselt. Die meisten Anzeiger, die ich kenne, werden rot, wenn ein Mann seine Genitaltemperatur hoch genug steigert.«
    Sie lächelte breit, weil sie sich an einen Bekannten erinnerte, der sich auf das intensive Rot seiner Anzeigerscheibe ziemlich viel einbildete, und man hatte ihn je-desmal überreden müssen, sie zu entfernen, bevor er ins Bett stieg.
    Aber Gabriel runzelte plötzlich die Stirn. »Hoch genug steigert?«
    »Ja, natürlich, hoch genug. Ist das nicht so, wie du es machst?«
    Seine hellen Brauen rückten zusammen, in seiner Miene mischten sich Verdruß und Verblüffung. »Unser Lehrer bringt uns bei, die Temperatur niedrig zu halten.«
    Die Erinnerung an ihren selbstgefälligen Bekannten und jede Menge zotiger Witze vermengten sich in Schlanges Bewußtsein. Am liebsten hätte sie laut gelacht. Doch es gelang ihr, einen völlig gleichmütigen Gesichtsausdruck zu bewahren.
    »Gabriel, lieber Freund, wie alt war dein Lehrer? Hundert?«
    »Ja«, antwortete Gabriel, »mindestens. Ein sehr weiser alter Mann. Er lebt noch immer.«
    »Weise, ja, bestimmt, aber von allem losgelöst«, sagte Schlange. »Seit achtzig Jahren nicht auf der Höhe. Gewiß, es macht zeugungsunfähig, wenn man die Temperatur des Hodensacks senkt. Aber es ist viel wirksamer, sie zu heben. Und es soll ganz erheblich leichter zu lernen sein.«
    »Aber er meinte, ich könne mich niemals richtig unter Kontrolle haben...«
    Schlange schnitt ein finsteres Gesicht, sprach jedoch nicht aus, was sie dachte: daß kein Lehrer jemals etwas dergleichen zu einem Schüler sagen sollte.
    »Nun, manchmal findet ein Mensch sich eben mit dem anderen nicht so ganz zurecht, und es bedarf eigentlich bloß eines anderen Lehrers.«
    »Glaubst du, ich kann es lernen?«
    »Ja.«
    Sie verkniff sich eine weitere, schärfere Bemerkung über die Weisheit und die Befähigung von Gabriels erstem Lehrer. Es war besser, wenn der junge Mann die Fehler seines Lehrmeisters aus eigener Einsicht begriff. Offenbar empfand er jetzt noch zuviel Bewunderung und Achtung vor ihm; Schlange lag nichts daran, ihn zu einer Verteidigung des Greises zu veranlassen, jener Person, die ihm vielleicht den größten Schaden seines Lebens zugefügt hatte.
    Gabriel ergriff Schlanges Hände. »Was fang ich nur an? Wohin gehe ich?«
    Diesmal sprach er voller Hoffnung und Vorfreude.
    »Jedenfalls dorthin, wo die Lehrer der Menschen Techniken kennen, die weniger als hundert Jahre alt sind. Welche Richtung willst du einschlagen, wenn du Berg-hausen verläßt?«
    »Ich... ich habe noch nicht darüber nachgedacht.« Er schaute zur Seite.
    »Es ist schwer fortzugehen«, sagte Schlange. »Ich weiß, daß es so ist. Aber es ist am besten. Verbring einige Zeit damit, dich in der Welt umzuschauen. Dann entscheide, was für dich gut ist.«
    »Man muß ein neues Zuhause finden«, sagte Gabriel.
    »Du könntest nach Mittenweg gehen«, sagte Schlange. »Dort wohnen die besten Lehrmeister, von denen ich je vernommen habe. Und dann, wenn du fertig bist, kannst du zurückkehren. Es dürfte keinen Grund geben, der dagegen spricht.«
    »Ich glaube, doch. Ich glaube, daß ich niemals wieder heimkehren kann, denn wenn ich auch lerne, was ich zu lernen habe, die Leute hier würden sich immer ihre eigenen Gedanken über mich machen. Die Gerüchte würden niemals verstummen.« Er hob die Schultern. »Aber so oder so, auf jeden Fall muß ich erst einmal fort. Ich habe es versprochen. Ich gehe nach Mittenweg.«
    »Gut.« Schlange langte nach hinten und drehte den Lampenschein bis auf einen winzigen Funken hinab. »Die neuere Technik hat noch andere Vorteile, ist mir gesagt worden.«
    »Welche meinst du?«
    Sie berührte ihn. »Sie erfordert eine erhöhte Durchblutung der Genitalzone. Das soll die Ausdauer steigern. Und die Empfindsamkeit.«
    »Ob ich wohl jetzt schon eine gewisse Ausdauer habe?«
    Schlange wollte bereits eine ernstgemeinte Antwort geben, da begriff sie, daß Gabriel seinen ersten vorsichtigen Scherz über die Sexualität gemacht hatte.
    »Laß es uns überprüfen«, sagte sie.
     

Geraume Frist vor Anbruch der Dämmerung weckte ein

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