Traumschlange
dringliches Pochen Schlange. Im Zimmer war es geisterhaft grau, und in das trübe Grau warf das winzigkleine Flämmchen der Lampe orangene und rosa Glanzlichter. Gabriel schlief tief und fest, auf den Lippen ein leichtes Lächeln, seine langen blonden Wimpern ruhten auf seinen Wangen. Er hatte im Schlaf die Decken fortgeschoben, und sein hochgewachsener schöner Körper lag bis hinab zur Mitte der Schenkel entblößt. Widerwillig wandte sich Schlange zur Tür.
»Herein.«
Unschlüssig trat eine bemerkenswert hübsche junge Dienerin ein, und vom Korridor fiel Lichtschein auf das Bett.
»Heilerin, der Bürgermeister...« Sie keuchte auf, starrte Gabriel an und vergaß das Blut an ihren Händen. »Der Bürgermeister...«
»Ich komme sofort.«
Schlange erhob sich, stieg in ihre neue Hose und streifte das steife neue Kleid über, dann folgte sie der jungen Frau in die Gemächer des Bürgermeisters. Blut aus der offenen Wunde tränkte das Bettzeug, aber Brian hatte bereits die ersten Hilfsmaßnahmen durchgeführt; die Blutung war schon fast zum Stillstand gekommen. Der Bürgermeister war gespenstisch bleich, und seine Hände zitterten.
»Sähen Sie nicht so krank aus, würden Sie von mir die Schelte hören, die Sie verdienen«, sagte Schlange. Sie begutachtete den Verband.
»Sie sind mit einem ausgezeichneten Krankenpfleger gesegnet«, sagte sie, als Brian mit frischen Laken wiederkam und sich in Hörweite aufhielt. »Ich hoffe, Sie zahlen ihm, was er wert ist.«
»Ich dachte...«
»Denken Sie, was Sie wollen«, sagte Schlange. »Denker zu sein ist eine bewunderungswürdige Berufung. Aber versuchen Sie nicht noch einmal aufzustehen.«
»Also gut«, murmelte er, und Schlange faßte diese Äußerung als ein Versprechen auf. Sie beschloß, beim Auswechseln des Bettzeugs nicht zu helfen. Wenn es notwendig war oder für Menschen, die sie mochte, war sie sich beileibe nicht zu gut für niedrige, schmutzige Arbeiten. Aber bisweilen konnte sie auch übertrieben stolz sein. Sie wußte, daß sie nun mit dem Bürgermeister unentschuldbar schroff umgesprungen war, aber sie konnte nicht anders.
Die junge Dienerin war größer als Schlange und zweifelsfrei kräftiger als Brian; Schlange durfte zu Recht davon ausgehen, daß sie Brian bei der Aufgabe, den Bürgermeister aus dem Bett zu heben, leicht zu entlasten vermochte. Aber sie sah Schlange, als sie den Raum verließ, um sich noch einmal ins Bett zu legen, und auf nackten Füßen in den Korridor patschte, mit bekümmerter Miene nach.
»Herrin?«
Schlange drehte sich um. Die junge Dienerin spähte umher, als fürchte sie sich davor, jemand könne sie zusammen sehen.
»Wie heißt du?«
»Larril.«
»Larril, mein Name ist Schlange, und ich lasse mich nicht gern ›Herrin‹ nennen. Einverstanden?« Larril nickte, sprach Schlanges Name jedoch nicht aus. Schlange seufzte. »Was, gibt es noch?«
»Heilerin... in deinem Zimmer habe ich..., eine Dienerin sollte manche Dinge vielleicht besser nicht sehen. Ich möchte keineswegs Mitglieder der Familie des Bürgermeisters in Verlegenheit bringen.« Ihre Stimme klang schrill und gepreßt. »Aber... aber Gabriel... er ist...« Aus Verwirrung und Scham verschluckte sie den Rest des Satzes. »Fragte ich Brian, was man tun soll, müßte er es seinem Herrn verraten. Und das wäre... unangenehm. Aber du darfst nicht beleidigt sein. Ich habe ja niemals gedacht, daß der Sohn des Bürgermeisters...«
»Larril, es ist alles in schönster Ordnung«, sagte Schlange. »Er hat mir alles erzählt. Die volle Verantwortung liegt bei mir.«
»Du kennst... die Gefahr?«
»Er hat mir alles erzählt«, wiederholte Schlange. »Für mich besteht keine Gefahr.«
»Du hast ihm einen Freundschaftsdienst erwiesen«, sagte Larril plötzlich.
»Unsinn. Ich wollte ihn. Und ich beherrsche die Biokontrolle weit besser als eine Zwölfjährige, meine Erfahrungen sind entschieden größer. Oder als ein Achtzehnjähriger, wenn man so will.«
Larril wich ihrem Blick aus.
»Ich auch«, sagte sie. »Und ich habe immer solches Mitleid gehabt. Aber ich... habe mich gefürchtet. Er ist so schön – man müßte damit rechnen, daß man ganz von Sinnen gerät, ohne es zu wollen. Ich kann diese Gefahr nicht eingehen. Noch sechs Monate müssen verstreichen, bis mein Leben wieder mir allein gehört.«
»Du warst eine Leibeigene?«
Larril nickte.
»Zur Welt gekommen bin ich in Berghausen. Meine Eltern verkauften mich. Das durfte man, bevor der Bürgermeister die
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