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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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während sie sich zur Abwehr eines Anschlags vorbereitete, sich daran erinnerte, was Melissa von ihrem Messer gesagt hatte. Wenn sie unter freiem Himmel nächtigte, war es immer in ihrer Reichweite, obwohl sie in der Wildnis nicht mehr mit Überfällen rechnete als in diesem Zimmer im Haus des Bürgermeisters von Berghausen. Heute jedoch lagen ihr Gürtel und das Messer irgendwo am Fußboden, wo sie beides in ihrer Mattigkeit achtlos hatte hinfallen lassen; oder vielleicht hatte sie beides schon im Bad vergessen. Sie konnte sich nicht genau entsinnen. Ihr Kopf schmerzte, ebenso ihr Knie. Was geht eigentlich in meinem Kopf vor, überlegte sie. Ich weiß nicht einmal, wie man mit einem Messer kämpft.
    »Heilerin?« Die Stimme war so leise, daß sie kaum einen Ton vernahm.
    »Herrin?«
    Schlange wälzte sich herum und setzte sich kerzengerade auf, im Handumdrehen hellwach, ihre bereits instinktiv geballten Fäuste lockerten sich mit gleichartiger Unwillkürlichkeit. »Was... Melissa?«
    »Ja, Herrin.«
    »Danke den Göttern, daß du den Mund aufgemacht hast..., beinahe hätte ich dich geschlagen.«
    »Vergib mir, Herrin. Eigentlich wollte ich dich gar nicht wecken. Ich wollte nur... sicher sein...«
    »Ist irgend etwas nicht in Ordnung?«
    »Nein, aber ich wußte nicht, wie es dir geht. Ich sehe hier oben fast immer Licht, und deshalb dachte ich, man legt sich im Haus erst spät ins Bett. Ich dachte, ich könnte jemanden nach dir fragen. Aber... es ging nicht. Dann verschwinde ich jetzt besser wieder.«
    »Nein, warte.« Schlanges Augen hatten sich mittlerweile auf die Dunkelheit eingestellt, so daß sie Melissas Gestalt erkannte. Auf den von der Sonne herausgebleichten Strähnen in ihrem roten Haar glomm geisterhaftes Licht; sie roch den Duft von Heu und sauberen Pferden.
    »Es war lieb von dir, daß du dir soviel Mühe gemacht hast, um nach mir zu schauen.« Sie zog Melissa heran, beugte sich vor und gab ihr einen Kuß auf die Stirn. Das dichte, lockige Haar konnte die Unregelmäßigkeit des Narbengewebes nicht völlig verbergen. Melissa versteifte sich und wich zurück.
    »Wie bringst du es fertig, mich anfassen zu können?«
    »Liebe Melissa...«
    Schlange streckte einen Arm aus und drehte die Lampe hoch, bevor Melissa dagegen Einspruch erheben konnte. Das Kind drehte sich um. Schlange nahm es bei der Schulter und wandte es sanft um, bis sie wieder einander gegenüber waren; aber Melissa vermied es, sie anzuschauen.
    »Ich mag dich. Ich fasse die Leute immer an, die ich mag. Andere Leute würden dich auch mögen, falls du ihnen dazu die Gelegenheit gibst.«
    »Ras sagt etwas anderes. Er sagt, daß niemand in Berghausen Scheusale wie mich bloß ansehen möchte.«
    »Nun, und ich sage, Ras ist ein ekelhafter Kerl, und außerdem sage ich, er hat noch mehr Gründe, um dir vor anderen Menschen Furcht zu machen. Er erhält die Anerkennung für das, was du tust, nicht wahr? Er gibt vor, daß er die Pferde zähmt und ausreitet.«
    Melissa zuckte mit den Schultern, den Kopf gesenkt, um die Narbe weitmöglichst zu verbergen.
     
    »Und das Feuer damals«, sagte Schlange. »Was geschah wirklich? Gabriel sagte, Ras habe die Pferde gerettet, aber du bist es, die sich eine Verletzung zuzog.«
    »Jeder weiß, daß ein achtjähriges Mädchen nicht Pferde aus dem Feuer retten kann«, sagte Melissa.
    »Oh, Melissa...«
    »Es ist mir egal.«
    »So?«
    »Ich habe einen Unterschlupf. Ich bekomme Essen. Ich kann bei den Pferden bleiben, sie nehmen keinen Anstoß...«
    »Ihr Götter, Melissa! Warum bleibst du denn überhaupt hier? Ein Mensch braucht mehr als Essen und einen Winkel zum Schlafen.«
    »Ich kann nicht fort. Ich bin noch nicht vierzehn.«
    »Hat er behauptet, daß du ihm gehörst? Die Leibeigenschaft ist in Berghausen verboten.«
    »Ich bin keine Leibeigene«, entgegnete Melissa gereizt. »Ich bin zwölf. Was hast du geglaubt, wie alt ich bin?«
    »Ich dachte mir, daß du ungefähr zwölf bist«, sagte Schlange, weil sie nicht zugeben wollte, daß sie Melissa in Wahrheit wesentlich jünger geschätzt hatte. »Aber was macht das für einen Unterschied?«
    »Konntest du denn gehen, wohin du wolltest, als du zwölf warst?«
    »Ja, natürlich. Ich hatte allerdings das Glück, mich an einem Ort zu befinden, wo ich gerne blieb, aber ich hätte jederzeit fortgehen können.«
    Melissa blinzelte.
    »Oh«, meinte sie, »naja... hier ist es anders. Wenn man fortgeht, kommt der Vormund hinterdrein. Einmal habe ich‘s ja versucht, und da

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