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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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schließlich nickte er. »Ich gehe freiwillig.«
    Schlange stand auf, einen Arm um Melissas Schultern gelegt, und Melissa hatte einen Arm um ihre Taille geschlungen; sie verbarg ihre Narbe am Kleid der Heilerin. Gemeinsam strebten sie zur Tür.
    »Danke, Heilerin«, sagte der Bürgermeister.
    »Auf Wiedersehen«, sagte Schlange und schloß von draußen die Tür. Sie und Melissa gingen durch den Korridor zum anderen Turm.
    »Ach, was habe ich mich gefürchtet«, sagte Melissa.
    »Ich auch. Eine Zeitlang glaubte ich, ich müsse dich wohl oder übel entführen.«
    Melissa sah zu ihr auf. »Das hättest du getan?«
    »Ja.«
    Melissa schwieg einen Moment lang. »Verzeih mir«, sagte sie.
    »Verzeihen? Was?«
    »Ich hätte dir vertrauen sollen. Ich hab‘s nicht. Aber von jetzt an will ich dir immer vertrauen. Ich werde mich nie wieder fürchten.«
    »Es war dein gutes Recht, dich zu fürchten, Melissa.«
    »Nun fürchte ich mich nicht länger. Ich will mich niemals wieder fürchten. Wohin gehen wir?«
    Zum ersten Mal, seit Melissa sich erboten hatte, Eichhörnchen zu reiten, bezeugte ihre Stimme Selbstvertrauen und Begeisterung ohne einen Unterton von Drangsal.
    »Tja«, meinte Schlange, »ich glaube, du solltest nordwärts zur Niederlassung der Heiler. Nach Hause.«
    »Und du?«
    »Ich muß noch etwas erledigen, bevor ich heimkehren kann. Sorge dich nicht, du kannst fast die halbe Strecke in Gabriels Begleitung zurücklegen. Ich schreibe einen Brief für dich, und du darfst Eichhörnchen nehmen. Man wird dort wissen, daß ich dich geschickt habe.«
    »Ich möchte lieber mit dir gehen.«
    Schlange bemerkte, wie beunruhigt Melissa war, und blieb stehen.
    »Mir wäre es auch lieber, du wärst bei mir, bitte glaube mir. Aber ich muß zum Zentrum, und der Weg könnte nicht ungefährlich sein.«
    »Ich fürchte mich nicht vor Verrückten. Außerdem können wir besser aufpassen, wenn ich dabei bin.«
    Den Verrückten hatte Schlange inzwischen ganz vergessen; die Erinnerung jagte ihr einen Schrecken ein.
    »Ja, der Verrückte, er ist ein Problem. Aber die Stürme kommen, es ist bald Winter. Ich weiß nicht, ob ich die Stadt noch vorm Winteranfang wieder verlassen kann.«
    Und es wäre für Melissa besser, sie lebte sich in der Niederlassung ein, ehe Schlange zurückkehrte, sollte ihr Vorhaben mißlingen, sollte das Zentrum sich ihrem Anliegen verschließen. Dann hätte Melissa mittlerweile ein Zuhause, selbst wenn Schlange von den Heilern ihren Abschied nehmen mußte.
    »Die Stürme sind mir ziemlich egal«, sagte Melissa. »Ich habe keine Furcht.«
    »Ich weiß, daß du keine hast. Ich sehe bloß keinen Grund, daß auch du dich diesen Gefahren aussetzt.« Melissa sagte nichts. Schlange kniete nieder und drehte sich das Kind zu. »Glaubst du, auch ich wollte mich nicht mit dir blicken lassen?«
    »Ich weiß nicht, was ich glauben soll, Herrin«, sagte Melissa nach einem ausgedehnten Moment des Schweigens. »Du hast gesagt, wenn ich nicht in Berghausen bleibe, wäre ich allein für mich verantwortlich und könnte tun, was ich für richtig halte. Aber ich glaube nicht, daß es richtig ist, dich allein zu lassen, wenn du mit dem Verrückten und den Stürmen zu tun hast.«
    Schlange kauerte sich auf ihre Fersen. »Das habe ich gesagt. Und ich meinte es ernst.« Sie betrachtete ihre vernarbten Hände, seufzte und sah wieder auf in Melissas Gesicht. »Ich verrate dir lieber den wahren Grund, warum ich möchte, daß du früher als ich nach Hause gehst. Ich hätte ihn dir sofort sagen sollen.«
    »Was ist der Grund?« Melissas Stimme klang gepreßt, beherrscht; sie rechnete mit einer neuen seelischen Verwundung. Schlange nahm ihre Hand.
    »Meistens haben Heiler drei Schlangen. Ich habe nur zwei. Mir ist eine große Dummheit unterlaufen, und eine meiner Schlangen kam ums Leben.«
    Sie erzählte Melissa von Arevins Völkchen, von Stavin und Stavins jungem Vater und Gras.
    »Es gibt nur sehr wenige Traumschlangen«, sagte Schlange. »Sie sind schwer zu züchten. Das heißt, eigentlich züchten wir sie nicht einmal, wir warten bloß und hoffen, daß sie sich vermehren. Wir erhalten neue Traumschlangen eher auf die Art und Weise, wie ich Eichhörnchen gemacht habe.«
    »Mit der Spezialmedizin«, sagte Melissa.
    »So ungefähr.« Die fremdartige Biologie der Traumschlangen war weder der Mikrochirurgie noch der Virentransduktion zugänglich. Die irdischen Viren reagierten nicht mit den Chemikalien, die Traumschlangen statt der DNA-Moleküle

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