Traumschlange
besaßen, und bisher war es den Heilern nicht gelungen, bei den außerirdischen Schlangen so etwas wie einen Virus zu isolieren. Daher ließen sich die Gene zur Erzeugung des Gifts der Traumschlangen nicht übertragen, und es war auch noch niemandem gelungen, die mehreren hundert Komponenten des Giftes zu synthetisieren.
»Ich habe Gras und vier andere Traumschlangen gemacht«, sagte Schlange. »Aber heute kann ich nicht länger welche machen. Meine Hände sind nicht länger sicher genug, mit ihnen ist das gleiche nicht in Ordnung, was gestern so schlimm war an meinem Knie.«
Manchmal fragte sie sich, ob ihre Arthritis nicht nur körperlicher, sondern auch ebenso stark psychischer Natur sei, eine Reaktion gegen das stundenlange Herumsitzen im Laboratorium, Stunde um Stunde hintereinander, in denen sie feinfühlig die Kontrollen der Mikropinzette handhaben, ihre Augen überanstrengen mußte, um jeden einzelnen der unzähligen Nuklei in einer einzigen Zelle einer Traumschlange zu finden. Als erster Heiler seit mehreren Jahren hatte sie es geschafft, genetisches Material in eine unbefruchtete Eizelle zu verpflanzen. Einige hundert Male hatte sie es versuchen müssen, ehe sie Gras und seine Geschwister vorweisen konnte; und dennoch war ihr Prozentanteil höher als bei allen anderen, die bis dahin die gleiche Aufgabe gelöst hatten. Niemand hatte jemals zu entdecken vermocht, wie die Traumschlangen sich zur biologischen Reife entwickelten. Deshalb bewahrten die Heiler einen kleinen Vorrat unausgereifter Eizellen eingefroren auf, den Leibern toter Traumschlangen entnommen, aber niemand verstand es, sie zum Klonen anzuwenden; außerdem besaßen sie einen Gefriervorrat von etwas, wobei es sich anscheinend um den Samen von Traumschlangen handelte, um Zellen, die jedoch noch zu unreif waren, um die Eizellen, vereinigte man beide in einem Reagenzglas, zu befruchten. Schlange sah in ihrem Erfolg sowohl einen Glücksfall wie ein Ergebnis ihrer Geschicklichkeit. Besäßen die Heiler die Technologie, um eines der in den Büchern erwähnten Elektronenmikroskope zu bauen, dann traute sie es sich zu, von den Zellkernkörpern unabhängige Gene zu entdecken, Moleküle von solcher Winzigkeit, daß das bloße Auge sie niemals wahrzunehmen vermochte, zu klein für eine Transplantation, wenn die Mikropinzette sie nicht zufällig erwischte.
»Ich will zum Zentrum, um dort eine Nachricht auszurichten und um die Leute dort zu bitten, uns zu weiteren Traumschlangen zu verhelfen. Allerdings dürften sie ablehnen, nehme ich an. Und wenn ich ohne Traumschlange heimkehre, da ich ja meine verloren habe, dann weiß ich nicht, was aus mir wird. Vielleicht sind ein paar ausgeschlüpft, seit ich fort bin, vielleicht hat auch endlich jemand welche klonen können – aber falls nichts dergleichen geschehen ist, verbietet man es mir vielleicht, noch länger Heilerin zu sein. Ohne Traumschlange bin ich sowieso eine schlechte Heilerin.«
»Wenn keine anderen erhältlich sind, sollte man dir eine von denen geben, die du gemacht hast«, sagte Melissa. »Das wäre gerecht, sonst nichts.«
»Es wäre ungerecht gegenüber den jüngeren Heilern, denen ich die anderen Traumschlangen gegeben habe«, sagte Schlange. »Ich müßte daheim erscheinen und zu einer Schwester oder einem Bruder sagen: Du kannst kein Heiler sein, bis wieder mehr Traumschlangen vorhanden sind.« Sie entließ den Atem in gedehntem Seufzer. »Das ist es, was du wissen mußt. Deshalb möchte ich, daß du dich dort früher als ich einfindest, damit du dich auskennen lernst und jeder dich kennenlernt, so schnell es geht. Ich mußte dich aus Ras‘ Gewalt befreien, das war völlig klar, aber wenn du zu mir nach Hause kommst, kann ich dir nicht versprechen, daß die Dinge viel besser sein werden...«
»Schlange!« Melissa war aufrichtig zornig. »Wie‘s auch kommt, bei dir zu sein, das wird auf jeden Fall besser sein als... als in Berghausen. Was jetzt geschieht, ist mir egal. Selbst wenn du mich schlägst...«
»Melissa!« Schlange empfand nicht weniger Bestürzung als das Kind. Melissa lächelte breit; ihr rechter Mundwinkel schob sich ein wenig aufwärts.
»Verstehst du mich?« fragte sie.
»Also gut.«
»Es wird schon alles klappen«, sagte Melissa. »Was die Niederlassung der Heiler betrifft, mache ich mir keine Sorgen. Und daß die Stürme gefährlich sind, weiß ich. Und ich habe dich ja gesehen, nachdem du mit dem Verrückten gekämpft hast, deshalb weiß ich, daß er auch
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