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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Stürme begonnen haben...«
    »So dumm ist sie nicht, daß sie im Winter draußen in der Wüste herumsitzt«, sagte Thad. »Nein, es muß so gewesen sein, daß ihr jemand begegnete, der ihres Beistands bedurfte, und sie deshalb die Heimreise unterbrochen hat. Vielleicht kümmert sie sich um einen Patienten im Mittelgebirge. Sie könnte irgendwo südlich von hier sein, in Mittenweg, Neu-Tibet oder Berghausen.«
    »Nun gut«, sagte Arevin, der dankbar war für jeden Hinweis. »Also reite ich nach Süden.« Allerdings fragte er sich, ob Thad möglicherweise nur mit der selbstsicheren Unbefangenheit der Jugend seine erstbesten Gedanken aussprach.
    Thad öffnete die Tür zu einem langgestreckten, flachen Haus. Drinnen waren zahlreiche Zimmer rings um einen in der Mitte gelegenen Gemeinschaftswohnraum angeordnet. Thad warf sich auf eine weiche Couch. Arevin sah von weiterer Rücksichtnahme auf die hiesigen Gepflogenheiten vorerst ab und setzte sich auf den Fußboden.
    »Bald ist es Essenszeit«, sagte Thad. »Das Zimmer neben meinem ist gegenwärtig frei, du kannst dich dort einquartieren.«
    »Vielleicht sollte ich ohne Verzögerung weiterreiten«, sagte Arevin.
    »Noch heute abend? Es wäre Wahnsinn, des Nachts durch diese Gegend zu reiten. Wir fänden dich morgen früh zerschmettert am Fuß irgendeiner Klippe. Du solltest wenigstens bis morgen warten.«
    »Wenn das dein Rat ist, will ich auf ihn hören.«
    Er verspürte eine gewaltige, unüberwindliche Müdigkeit. Thad zeigte ihm das freie Zimmer.
    »Ich hole dein Gepäck«, sagte Thad. »Du ruhst dich lieber aus. Du machst den Eindruck, daß du es gebrauchen kannst.«
    Arevin setzte sich umständlich auf die Bettkante. Unter der Tür drehte sich Thad um.
    »Hör mal, es macht mir nichts aus, jemandem zu helfen. Kann ich irgend etwas für dich tun?«
    »Nein«, sagte Arevin. »Danke. Es geht mir ausgezeichnet.«
    Thad zuckte die Achseln. »Na schön.«
     
    Die Wüste aus schwarzem Sand erstreckte sich bis zum Horizont, eben und öde, und entbehrte jeden Anzeichens, daß sie schon einmal jemand durchquert hätte. Hitzewellen wallten wie durchsichtiger Rauch empor. Es wehte noch kein beständiger Wind, aber alle Spuren und Hinterlassenschaften des Handelsweges waren bereits verwischt: verweht oder mit Sand behäuft durch die wechselhaften Windstöße, die den Winter ankündigten. Schlange und Melissa befanden sich auf dem Ostkamm der Mittelgebirgskette und spähten in die Ferne, ihrem unsichtbaren Ziel entgegen. Sie stiegen ab, um den Pferden eine Verschnaufpause zu gönnen. Melissa verstellte einen Gurt an Eichhörnchens neuem Sattel, dann schaute sie zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren, hinunter ins Hochtal, das bisher ihre Heimat gewesen war; die Ortschaft lag oberhalb der fruchtbaren Talsole an den steilen Hang gedrückt. Fenster und schwarze Glasflächen schimmerten in der Mittagssonne.
    »So weit war ich noch nie von Berghausen entfernt«, sagte Melissa ehrfürchtig. »Noch nie im Leben.«
    Sie wandte sich vom Tal ab und Schlange zu.
    »Danke, Schlange«, sagte sie.
    »Ich habe dich gern dabei, Melissa.«
    Melissa senkte den Blick. Ihre rechte Wange – die unversehrte Gesichtshälfte
    – errötete kräftig. »Darüber muß ich dir etwas sagen.« »Worüber?« »Meinen Namen. Es stimmt, was Ras gesagt hat – es ist nicht mein richtiger...« »Macht nichts. Was mich betrifft, heißt du Melissa. Ich trug als Kind auch einen
    anderen Namen.«
    »Aber deinen jetzigen Namen hat man dir verliehen. Das ist eine Ehre. Du hast ihn dir nicht einfach zugelegt, so wie ich mir meinen.«
    Sie stiegen wieder auf ihre Pferde und lenkten sie den stark ausgetretenen Pfad hinab, der im Zickzack verlief.
    »Aber ich hätte den Namen ablehnen können, als man ihn mir anbot«, sagte Schlange. »In dem Fall hätte ich mir selbst einen Erwachsenennamen aussuchen dürfen, genau wie die anderen Heiler.«
    »Du hättest ihn ablehnen können?«
    »Ja.«
    »Aber er wird kaum jemals vergeben. Das habe ich gehört.«
    »Es ist auch wahr.«
    »Hat ihn schon einmal jemand abgelehnt?«
    »Soviel ich weiß, nicht. Aber ich bin ohnehin erst die vierte Trägerin dieses Namens, also hatten erst wenige überhaupt die Gelegenheit. Manchmal wünsche ich, ich hätte den Namen nicht angenommen.«
    »Und warum?«
    »Wegen der damit verbundenen Verpflichtung.«
    Ihre Hand ruhte auf der Ecke der Schlangenschachtel. Seit dem Überfall des Verrückten tastete sie häufiger danach. Nachdenklich

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